Penetre und ich (16)

Hitoshi Nagai:
Penetre und ich

2-10 Was man tun kann, wenn man nicht einschlafen kann

Ich: Manchmal schläft man ein, wenn man es nicht will, und manchmal kann man nicht schlafen, obwohl man es will. Woher kommt das?
Penetre: Komisch, nicht wahr? Passiert dir das auch, dass du nicht einschlafen kannst?
Ich: Ja, klar. Je mehr ich dann darüber nachdenke, warum ich nicht einschlafen kann, desto weniger kann ich schlafen. Und dann bin ich plötzlich ganz wie von selbst eingeschlafen. Das ist doch seltsam.
Penetre: Es gibt einige Dinge im Leben, die man niemals aus eigener Kraft schaffen wird. Das Einschlafen ist das beste Beispiel. Wenn du schlafen willst, gehst du zu Bett – danach bleibt nichts für dich zu tun. Du kannst nur auf den Schlaf warten. Irgendwann schläfert dich dann die Zeit selbst ein. Du musst nur warten. Wenn du versuchst, von dir aus etwas dazu zu tun, verhinderst du das Einschlafen. Es gibt absolut nichts, was du tun kannst. Wenn du unter Schlaflosigkeit leidest, ist das eine ausgezeichnete Gelegenheit, etwas über das Leben überhaupt zu lernen. Einschlafen ist nur eines von vielen Dingen, bei denen du nichts besseres tun kannst, als gar nichts zu tun.
Ich: Willst du damit sagen, dass ich so tun soll, als ob ich nicht einschlafen will, um einzuschlafen? Aber geht das denn? In Wirklichkeit will ich ja immer noch einschlafen!
Penetre: Nein. Du musst wirklich daran glauben, dass du nicht einschlafen musst. Nur wenn du das glaubst, gibt es eine Methode, die du anwenden kannst.
Ich: Was für eine Methode ist das denn?
Penetre: Einzuschlafen bedeutet, in eine andere Welt einzutreten. Dafür musst du alles in dieser Welt, in der du wach bist, vergessen. Aber etwas zu vergessen ist noch schwieriger als nur zu warten. Einfacher ist es, sich die Welt, in die man beim Einschlafen eintritt, schon vor dem Einschlafen vorzustellen. Das bedeutet, dass du den Traum, den du nach dem Einschlafen träumen wirst, schon einmal vorträumst. Du kannst dich zum Beispiel an etwas erinnern, was lange zurück liegt, und dir vorstellen, dass du in dieser Erinnerung lebst. Wenn dir das gelingt, vergisst du, dass du im Bett liegst – und bist eingeschlafen!
Ich: Was du mir alles erzählst…

2-11 Was bedeutet „links“ und „rechts“?

Ich: Du, Penetre! Wenn die Erwachsenen über Politik reden, sagen sie „links“ oder „rechts“ – was ist damit gemeint?
Penetre: Damit ist die politische Grundeinstellung gemeint. Die Linken berufen sich nicht auf die Nation oder Tradition, sondern vertrauen auf die Kreativität und Spontanität der Bevölkerung selbst. Für die Rechten sind die Werte wichtig, die das Volk über die Jahrhunderte hinweg kultiviert hat. Sie glauben, dass die Nation die Funktion einer geistigen Stütze für die Gesellschaft hat.
Ich: Und wer von den beiden hat recht?
Penetre: Eigentlich gibt es da keinen großen Unterschied.
Ich: Wirklich? Wie kommt es dann, dass die immer miteinander streiten?
Penetre: Streiten kann man nur dann, wenn man etwas gemeinsam hat. Weiß und Schwarz sind nur deshalb Gegensätze, weil sie beide zu den Farben gehören. Süß und Sauer sind beides Geschmacksrichtungen, deshalb können sie sich unterscheiden. Aber für einen Streit zwischen Weiß und Süß fehlt die gemeinsame Grundlage. So ist es auch bei den Menschen. Man kann sich nur dann darüber streiten, ob Furtwängler oder Karajan der bessere Dirigent von Beethovens 9. Sinfonie ist, wenn man sich einig ist, dass die 9. Sinfonie wichtig ist. Worüber sollten sich dagegen ein Karajan-Fan und ein Fan der New York Giants streiten? Man muss sich über etwas einig sein, um sich zu streiten.
Ich: Und so ist es auch bei den Linken und den Rechten?
Penetre: Genau. Politische Gegensätze kann es nur zwischen Menschen geben, für die Politik wichtig ist.
Ich: Aber anders als Musik oder Baseball ist die Politik doch etwas, was die ganze Welt betrifft?
Penetre: Du hast recht damit, dass das Aufgabenfeld der Politik weiter ist als das der Musik oder des Baseballs. Aber so wenig man die Probleme der Welt von einem „furtwänglerischen“ oder „karajanischen“ Standpunkt aus betrachten kann, so wenig kann man alle Probleme von einem „linken“ oder „rechten“ Standpunkt aus lösen.

3-1 Das menschliche Bewusstsein

Penetre: Stell dir einen Hund vor, der seinem Herrchen lange Jahre beim Schachspielen zugeguckt hat. Eines Tages setzt er sich vor das Brett und bewegt eine der Figuren, so wie er es bei seinem Herrchen immer gesehen hat. Sein Herrchen ist total überrascht und macht seinerseits einen Zug, so als würde der Hund tatsächlich die Regeln kennen. Worauf der Hund wiederum die Pfote ausstreckt und eine Figur bewegt…
Ich: Das ist ja süß! Ich wünschte, uns wäre auch so ein braver Hund zugelaufen und nicht eine Katze, die so merkwürdige Dinge erzählt wie du!
Penetre: Könnte es nicht sein, dass ihr Menschen genauso wie dieser Hund in der Illusion lebt, den Sinn eures Tuns zu verstehen, obwohl ihr in Wirklichkeit gar nichts versteht?
Ich: Mir ist es tatsächlich schon vorgekommen, dass ich geglaubt hatte etwas zu verstehen, nur um hinterher festzustellen, dass ich es doch nicht verstand.
Penetre: Das meine ich nicht. Ich meine, dass die Menschheit als Ganze einem Missverständnis aufsitzt. Zum Beispiel der Glaube, dass Menschen und Hunde sich unterscheiden, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dass alle materiellen Dinge eine Anziehungskraft aufeinander ausüben… könnte es nicht sein, dass das alles ein Irrtum ist? So wie sich der Hund täuscht, wenn er glaubt, dass Schachspielen bedeutet, einfach nur die Figuren mit der Pfote zu bewegen, so täuschen sich vielleicht auch die Menschen grundsätzlich über die Bedeutung ihres Tuns.
Ich: Beim Hund ist es der Mensch, der den Irrtum erkennt, aber wer würde es erkennen, wenn sich die ganze Menscheit im Irrtum befindet?
Penetre: Keiner! Und selbst wenn es jemanden gäbe, der es erkennt – ihr Menschen würdet davon nichts mitbekommen. Genauso wie der Hund es nicht bemerkt, dass der Mensch seinen Irrtum durchschaut. Deshalb kannst du dir auch nicht sicher sein, ob wir Katzen euch Menschen in Wirklichkeit nicht schon längst durchschaut haben!