Den Berg hoch, um die Halle herum, rein ins Kulturradio und raus mit dem Futter für Pferd und Esel

Die Freunde unseres Klosters, die uns per Paypal unterstützen, sollten in Kürze das neue Buch von Abt Muho in Händen halten: Futter für Pferd und Esel.
Wer noch nicht offiziell zu unseren Freunden zählt, das Buch aber trotzdem lesen will, kann es hier direkt bestellen: bod.de


INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort
Dôgens Leben
Fukanzazengi: Einladung an alle zum Zazen!
Genjôkôan: Hier offenbart sich das Geheimnis
Gakudô-yôjinshû: Worum es bei der Übung des Weges geht
Jûundôshiki: Regeln für die Halle der verschlungenen Wolken
Gabyô: Gemalter Kuchen
Zenki : Ganzes Wirken
Ôsakusendaba: Der König wünscht sich Sendaba
Zazenshin: Eine Nadel für Zazen
Hotsubodaishin: Aufbruch zum Weg des Herzens
Dôshin: Der Geist des Weges
Danksagung 

VORWORT

„Was liegt jenseits des Horizonts?“
Irgendwann stellt sich jedes Kind diese Frage, die Augen staunend auf das Meer gerichtet. Doch welches Kind würde tatsächlich versuchen, das Meer zu überqueren? Die meisten müssen nur einen Schritt ins kalte Wasser machen, um sich eines Besseren zu besinnen. Andere lässt die Frage nie los. Und es kommen neue Zweifel dazu:
„Woher komme ich?“
„Wohin gehe ich?“
„Wer bin ich und wie will ich leben?“
Seit Adam und Eva im Garten Eden den berühmten Apfel verspeist haben, gibt es Menschen, die sich diese und ähnliche Fragen stellen. Viele vergessen diese Kinderfragen als Erwachsene wieder, doch manche lassen sie ein Leben lang nicht los. Vielleicht gehören Sie, werter Leser, ja auch dazu?

Dôgen , der vor achthundert Jahren in Japan lebte, versuchte, seine eigenen Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Shôbôgenzô schrieb er sie nieder. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ich nicht zu dem geworden wäre, der ich heute bin, wenn ich nicht früh dem Werk Dôgens begegnet wäre. Dôgen gilt vielen Japanern als der größte philosophische Denker ihres Volkes. Er ist aber nicht nur das, sondern vor allem der Gründer der Sôtô-Schule, einer der beiden Richtungen des Zen, die in Japan praktiziert werden. Auch ich habe mich dieser Schule – und damit der Lehre Dôgens – angeschlossen, als ich vor fünfundzwanzig Jahren in Japan zum Mönch ordiniert wurde.
In diesem Buch möchte ich einige Hinweise aus meiner Sicht geben, wie man sich der Lehre Dogens nähern kann, bei der es um die zentralen Fragen von Leben und Tod geht. Sie thematisiert Probleme des Alltags, die uns auch heute im einundzwanzigsten Jahrhundert noch ganz konkret betreffen. Meine Übersetzung des altjapanischen Textes hält sich so nah wie möglich an Dôgens Original. Allerdings habe ich bei einigen Kapiteln des Shôbôgenzô kurze Passagen ausgelassen. Jedes Kapitel enthält Begriffserläuterungen und weiterführende Kommentare, bisweilen habe ich auch Episoden aus meinem eigenen Leben eingestreut oder richte mich mit Fragen direkt an Sie, den Leser.
An dem Manuskript dieses Buchs habe ich lange gearbeitet. Die erste Version der Genjôkôan-Übersetzung stammt noch aus meiner Studentenzeit vor fast dreißig Jahren. Auch viele der anderen Texte von Dôgen, die in diesem Buch versammelt sind, habe ich bereits als Mönch zu Lebzeiten meines Meisters Miyaura Shinyû übersetzt. Meine Erläuterungen zu den Texten stammen jedoch aus jüngerer Zeit. So oft wie möglich habe ich versucht, persönliche Erfahrungen aus meiner eigenen Lehrzeit einfließen zu lassen. Und auch beim Austausch mit den jungen Mönchen, die dem Kloster beigetreten sind, seit ich zum Nachfolger meines Meisters berufen wurde, habe ich viel Neues gelernt, das sich in diesem Buch niedergeschlagen hat.
Sofort nachdem ich im Jahr 2002 das Amt des neunten Abts vom Antaiji übernahm, begann ich monatlich Artikel auf der Website des Klosters zu veröffentlichen. Die englische Version dieser Artikel hieß „Shit paper“ – ich schrieb damals so, wie mir die Schnauze gewachsen war. Das Thema, um das sich diese Artikel drehten, war dasselbe, um das es auch in diesem Buch geht: Praxis. Ich sprach damals oft von „adult practice“. Damit meinte ich natürlich nicht Praxis für Volljährige. Was ich im Sinn hatte: Praxis, die sowohl eigenverantwortlich als auch selbstvergessen ist. Das scheint ein Widerspruch zu sein, aber wenn einer der beiden Aspekte der Praxis fehlt, ist es keine erwachsene, das heißt reife Praxis mehr. Wichtig ist, zu erkennen, dass Praxis immer meine Praxis ist. Das Beispiel, das ich damals so oft wiederholte, bis es im Antaiji zum Mantra wurde: „Keiner kann dir den Arsch abwischen, du musst es selbst tun!“
Gleichzeitig gilt: Dass es meine Praxis ist, bedeutet nicht, dass es um mich geht. Ich muss mich selbst vergessen und als Teil der Gemeinschaft vereint mit den anderen praktizieren. In meinen Aufsätzen zitierte ich auch immer wieder die Werke Dôgens, und mein ursprünglicher Plan war, sowohl die Praxis des Zazen im Detail zu diskutieren, als auch über das Studium mit einem Meister aus eigener Erfahrung zu schreiben. Was die Zazen-Praxis angeht, bin ich in den englischen Aufsätzen recht weit gekommen, mir ging jedoch die Kraft aus, bevor ich über das Meister-Schüler-Verhältnis schreiben konnte.
Immer wieder wurde ich gebeten, die englischen Texte ins Deutsche zu übersetzen. Leider bin ich nie dazu gekommen. Das lag auch daran, dass 2007 das inzwischen vergriffene Buch Zazen oder der Weg zum Glück erschien, in dem ich über meinen eigenen Weg spreche und dabei auch Teile der alten Aufsätze verarbeitet habe. Fast zehn Jahre später kam endlich ein neues Buch heraus: Ein Regentropfen kehrt ins Meer zurück spricht in leicht verständlicher Sprache über Leben und Tod, Gott und die Welt und vieles andere, was zwischen diesen Koordinaten liegt.
Allerdings glaube ich, dass es mir erst in diesem Buch, das Sie eben in den Händen halten, gelungen ist, das zu vollenden, was ich mir für die Reihe über „adult practice“ vorgenommen hatte: für moderne Leser über Zen-Praxis im Stil Dôgens zu schreiben. Dabei habe ich versucht, sowohl den Anfänger als auch den „Insider“ zu erreichen. Über Zazen schreibe ich in diesem Buch allerdings nicht so detailliert wie früher in den Blog-Artikeln. Es gibt aber inzwischen viele Einführungen sowohl auf dem Buchmarkt als auch im Internet. Wer Interesse hat, wird auch meine alten Texte noch im Archiv der Antaiji-Website finden .
Der Titel dieses Buches lautet Futter für Pferd und Esel. Ich habe ihn einem Gedicht Dôgens entnommen, dem wir später in dem Kapitel Ôsakusendaba begegnen werden. Darin geht es unter anderem um einen König, der sich etwas wünscht. Wer ist das Pferd? Und wer der Esel? Und was wünscht sich der König?
Fragen wie diesen werden Sie oft in diesem Buch begegnen. Lassen Sie sich Zeit mit den Antworten. Ich hoffe, dass Sie beim Lesen auch etwas Genießbares für sich selbst entdecken. Und noch eine letzte Warnung: Das Lesen dieses Buchs löst keine Probleme. Probleme lassen sich nur durch Praxis mit einem Lehrer bewältigen.

DÔGENS LEBEN

Dôgen kam im Jahr 1200 in Kyôto zur Welt. Japan befand sich gerade in der Kamakura-Epoche, einer unruhigen Zeit, in der das politische Zentrum des Reiches vom Kaiserhof in Kyôto zum Sitz des Shoguns in Kamakura, einer verhältnismäßig kleinen Stadt im Osten des Landes, verlagert wurde. Dôgen verlor bereits mit zwei Jahren seinen Vater, der dem alten Kyôtoer Adel angehört hatte. Seine Mutter verstarb ebenfalls früh – nur fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters. Es heißt, dass der Junge bei der Beerdigung seiner Mutter den Rauch beobachtete, der von einem Weihrauchstäbchen aufstieg, und dabei ganz unmittelbar die Vergänglichkeit aller Dinge erkannte. Weihrauchstäbchen werden in Japan allerdings erst seit dem siebzehnten Jahrhundert, also vier Jahrhunderte nach Dôgens Zeit, hergestellt. Deshalb ist diese Legende wie so viele andere, die sich um Dôgens Person ranken, nur mit einer Prise Salz zu genießen.
Sicher dürfte sein, dass Dôgen – bereits in seiner Jugend auf sich allein gestellt – früh versuchte, Klarheit über Leben und Tod zu erlangen. Im Alter von zwölf Jahren wurde er buddhistischer Mönch im Enryakuji auf dem Berg Hiei bei Kyôto, in dem einer seiner Onkel als Priester tätig war. Viele Aristokraten, denen eine Karriere am Kaiserhof versagt blieb, fanden sich dort zusammen. Gleichzeitig waren die Klöster auch ein Ort, an dem der Adel sich der Mündelkinder entledigen konnte. So wie im europäischen Mittelalter waren damals in Japan die Klöster nicht nur die religiösen Zentren des Landes, sondern auch die einzigen Orte, an denen Geisteswissenschaft betrieben wurde. Nicht all den geschorenen Köpfen ging es jedoch um schöngeistige Studien oder die spirituelle Suche in der Stille der Klostermauern. Im Gegenteil: Der Enryakuji war berüchtigt für seine Mönchsarmee, die bei jeder Gelegenheit schwer bewaffnet in die Straßen von Kyôto hinabstieg, um die Interessen einiger machtbesessener Kleriker durchzusetzen.
Zum historischen Hintergrund: Der Buddhismus wurde bereits sechs Jahrhunderte vor Dôgens Zeit in Japan eingeführt. Dies geschah während der Regierungszeit des Kronprinzen Shôtoku , der im Jahr 604 die sogenannte Siebzehn-Artikel-Verfassung erließ. An erster Stelle stand dabei die Harmonie, gefolgt von der Verehrung der drei buddhistischen Schätze: Buddha, Dharma und Sangha . Erst an dritter Stelle kam der Gehorsam gegenüber kaiserlichen Befehlen. Besonders interessant ist der zehnte Artikel, der in freier Übersetzung lautet: „Was stört es uns, wenn die anderen anders denken als wir? Haben wir nicht alle unseren eigenen Sinn und denkt nicht jeder Geist auf seine eigene Weise? Was du für richtig hältst, halte ich für falsch. Was ich für richtig halte, hältst du für falsch. Wer von uns beiden kennt die Wahrheit? Kannst du dir so sicher sein, dass ich im Irrtum bin? Kann ich mir so sicher sein, dass du im Irrtum bist? Wir sind beide nur gewöhnliche Menschen.“
Die meisten der übrigen Punkte bestehen aus Ratschlägen für Staatsdiener, so beispielsweise der achte Artikel: „Die Minister und Beamten sollen ihren Dienst früh aufnehmen und spät beenden.“ Mit den Bauern hingegen hat der Kronprinz Mitgefühl. So heißt es im sechzehnten Artikel: „Von Frühling bis Herbst sollen die Menschen von der Fron befreit sein. Wenn sie dann nicht auf dem eigenen Feld arbeiten, was sollen sie essen?“ Auch im letzten Artikel drückt sich die japanische Mentalität aus: „Wichtige Entscheidungen darf nicht einer allein treffen. Sie müssen mit vielen diskutiert werden.“
Während der ersten Jahrhunderte nach seiner Einführung diente der Buddhismus, kombiniert mit konfuzianischen Idealen, in erster Linie dem Staat – als Grundlage des Beamtenkodex und in Form buddhistischer Gebetsrituale für das Wohlergehen des Kaiserhauses. In zweiter Linie widmeten sich die buddhistischen Priester dem akademischen Studium der buddhistischen Philosophie. Erst gegen Anfang des neunten Jahrhunderts gelangten mit der inklusivistischen Tendai- und der esoterischen Shingon-Schule zwei buddhistische Strömungen nach Japan, die auch Elemente buddhistischer Praxis enthielten, deren Ziel die Befreiung des Individuums vom Leiden ist. In beiden Schulen wurden neben anderen Praktiken auch Formen der Sitzmeditation geübt. Gerade zu der Zeit, als Dôgen als Novize mit seinen Studien begann, begann sich in Japan die Neuigkeit vom chinesischen Zen herumzusprechen. Zwar gab es zu dem Zeitpunkt noch keine eigenständigen Zenklöster, aber auch unter den Tendai-Priestern gab es viele, die sich für die neue Mode vom asiatischen Kontinent interessierten.
Dôgen galt schon in seiner Jugend als ausgesprochen intelligent und entwickelte in kurzer Zeit ein grundlegendes Verständnis der buddhistischen Schriften. Allerdings schien er Zweifel sowohl an der Praxis der Mönche als auch an der Richtigkeit des damals in Japan vertretenen Dogmas zu bekommen.
Das Ziel des Buddhismus ist es, den Geist zu erwecken und zum Buddha zu werden. Es ist ein Weg, der jedem offen steht. Man muss kein Auserwählter sein, um den Buddhaweg zu praktizieren. Man kann sogar sagen, dass jeder Mensch schon im Besitz der Buddhanatur ist. Und daraus schlossen die Kleriker zu Dôgens Zeit: Es gibt gar nichts zu erreichen, unser Geist ist – so wie er ist – bereits erwacht!
Ich kann mir vorstellen, dass Dôgen Schwierigkeiten hatte, diese allzu bequeme Konsequenz zu akzeptieren. War er nicht Mönch geworden, um eine Antwort auf die Frage von Leben und Tod zu finden? Eines quälte ihn besonders, und so fragte er seine damaligen Lehrer: „Wenn alle Lebewesen bereits die Buddhanatur haben, wieso müssen wir uns dann überhaupt in der Lehre Buddhas schulen?“
Es heißt, dass keiner seiner Lehrer die Frage beantworten konnte, und so beschloss Dôgen, das Kloster zu verlassen, um seine eigene Antwort zu finden.
Dôgen hörte von Eisai , einem Tendai-Priester, der in China mit der Praxis des Zen in Berührung gekommen war. Es ist jedoch nicht historisch erwiesen, ob Dôgen dem alten Meister während seiner letzten Lebensjahre noch persönlich begegnet ist. Die späteren Legendenschreiber berichten ungeachtet dessen, dass Dôgen ihn mit seinen Zweifeln aufsuchte. Damals soll ihm Eisai gesagt haben: „Ich weiß nicht, ob es Buddhas in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gibt, aber ich kann eine Katze von einem Ochsen unterscheiden.“
Dôgen soll von dieser Antwort überrascht gewesen sein, die, anstatt mit intellektuellen Begriffen zu hantieren, direkt auf die konkrete Wirklichkeit weist. Er entschloss sich, sein intellektuelles Studium beiseite zu legen und sich ganz dem Zen zu widmen. Sicher ist, dass Dôgen den Enryakuji verließ und im Kenninji-Kloster ein Schüler von Eisais Nachfolger, dem Tendai-Priester Myôzen wurde, der sich ebenfalls dem Studium des Zen widmete.
Eines Abends versammelte Myôzen seine Schüler und bat sie um Rat: „Seit längerem habe ich den Wunsch, nach China zu reisen, um dort Zen vor Ort zu studieren. Nun liegt jedoch einer meiner alten Lehrer im Sterben. Er bittet mich, mit der Reise zu warten, damit ich nach seinem Tod die Beerdigung für ihn abhalten möge. Was würdet ihr an meiner Stelle tun?“
Myôzens Schüler rieten ihm, dem Wunsch seines Lehrers zu folgen und sich bis zu dessen Tod um ihn zu kümmern. Die Reise könne er ja auch danach unternehmen. Nur Dôgen, der jüngste unter den Schülern, hatte Zweifel: „Nur wenn Ihr zufrieden seid mit dem gegenwärtigen Zustand Eurer Erleuchtung, solltet Ihr in Japan bleiben.“
Dieser Satz ist ein starkes Stück, denn Dôgen dürfte es klar gewesen sein, wie sehr Myôzen an seinem alten Lehrer hing. Gleichzeitig muss er aber auch gespürt haben, dass Myôzen die China-Reise wichtiger als alles andere war. Er ahnte, dass Myôzen mit seiner eigenen Erleuchtung noch nicht zufrieden war. Das konnte er seinem Meister aber nicht ins Gesicht sagen. Myôzen schien seinerseits dem Einwand Dôgens auszuweichen. Sein Geist habe bereits Frieden gefunden, erwiderte er. Wenn er seine Praxis so fortsetze wie gehabt, bräuchte er sich über den Eintritt ins Nirwana keine Sorgen machen. Daraufhin meinte Dôgen, dass Myôzen in Japan bleiben solle. Wenn er die Erleuchtung bereits gefunden habe, bestehe ja kein Anlass dazu, übereilt nach China aufzubrechen.
Ich denke mir, dass Dôgen bereits ahnte, wie Myôzen darauf reagieren würde: Zur Überraschung der anderen Schüler erklärte der Meister, dass er nach China fahren werde, und zwar in Begleitung Dôgens. Auch wenn er bis zum Tod seines alten Lehrers warte und dessen Beerdigung übernehmen würde, könne er diesen bei seiner letzten Reise dennoch nicht begleiten. Wichtiger sei die eigene Reise, die eigene Praxis des Buddhaweges.
Im Jahr 1223 machten sich Dôgen und sein Lehrer auf die damals noch außerordentlich gefährliche Schiffsreise. Dôgen wurde dabei seekrank und litt pausenlos unter Durchfall. Gerade als er glaubte, dass ihn die Krankheit sein Leben kosten würde, brach ein Sturm auf hoher See aus. Später berichtet Dôgen, dass er in dem Moment seine Krankheit vergaß, als das Schiff zu kentern drohte, und vom Durchfall geheilt war.
Endlich in China angelangt, hatte Dôgen zunächst Schwierigkeiten bei der Einreise in das Reich der Mitte. Während sich Myôzen sofort auf den Weg ins Landesinnere machte, um von Tempel zu Tempel zu pilgern und die bekanntesten Meister aufzusuchen, musste Dôgen noch einige Tage auf dem Schiff im Hafen auf die Einreiseerlaubnis warten. Die bürokratische Schwerfälligkeit der chinesischen Hafenbehörde führte zu einer wichtigen ersten Begegnung mit einem Koch, über die Dôgen später in seinem Werk Tenzo-kyôkun, den „Anweisungen für den Klosterkoch“, berichtet:
Der Koch stammte aus einem großen Zenkloster, das eine halbe Tagesreise entfernt war, und war gekommen, um japanische Pilze für eine Suppe zu kaufen. Dôgen lud ihn ein, auf dem Schiff zu übernachten: „Ist es nicht eine besondere Fügung des Schicksals, dass ich Euch heute hier auf dem Schiff getroffen haben? Bitte gebt mir die Gelegenheit, Euch zum Essen einzuladen und Fragen über das Zen in China zu stellen! In einem großen Kloster wie dem Euren muss es doch viele Helfer in der Küche geben. Kommen die denn nicht auch ohne Euch aus?“
Doch der Koch lehnte ab: „Mir wurde die Aufgabe des Kochs anvertraut, obwohl ich schon sehr alt bin und wenig für die Gemeinschaft tun kann. Wie könnte ich da auch noch diese eine Aufgabe vernachlässigen und nicht mein Bestes in der Küche tun?“
„Wenn Ihr bereits so alt seid, wäre es nicht besser, wenn Ihr Euch um Zazen oder das Studium der Buddhalehre kümmern würdet, anstatt Euch in der Küche zu verausgaben?“, fragte Dôgen.
„Mein junger Freund, offenbar weißt du noch nicht, um was es bei der Zen-Praxis geht. Du kennst die Bedeutung deiner Worte nicht.“
„Dann sagt mir bitte, was Praxis und Worte bedeuten!“
„Wenn du deiner eigenen Frage nicht ausweichst, wirst du dir darin selbst begegnen. Aber jetzt wird es dunkel und ich muss wirklich gehen.“
Der nach Wissen dürstende Dôgen hatte den Buddhismus in der Ferne gesucht. Er hatte gehofft, dass ihm ein erleuchteter chinesischer Mönch die Richtung weisen würde, doch die Worte des Kochs ließen ihn ratlos zurück. Nachdem er endlich die Erlaubnis zum Verlassen des Schiffes erhalten hatte, reiste er unabhängig von seinem Lehrer Myôzen durch das Land. In einem der Klöster, welche er besuchte, hatte Dôgen eine bedeutsame Begegnung:
„Als ich den östlichen Korridor passierte, sah ich den Koch, wie er auf dem Steinboden vor der Buddhahalle Pilze trocknete. Er stützte sich auf einen Bambusstock, doch er hatte keinen Hut auf dem Kopf. Die Steinplatten glühten in der Hitze, und dem alten Mann tropfte der Schweiß vom Leib, als er die Pilze unter der prallen Sonne wendete. Ich sah, dass er über seine Grenzen ging. Sein Rücken war gekrümmt wie ein Bogen, seine Brauen waren weiß wie ein Storch.“
Dôgen fragte ihn, wie alt er sei. „Achtundsechzig Jahre“, war die Antwort.
„Warum lasst Ihr diese Arbeit nicht von einem anderen verrichten?“, fragte Dôgen nach. Die berühmte Antwort des Kochs: „Ein anderer bin nicht ich.“
Dôgen war beeindruckt und lobte die vorbildliche Einstellung des Mönchs, wollte jedoch wissen, wieso er die Arbeit jetzt in dieser Hitze verrichtete, anstatt auf einen späteren Zeitpunkt zu warten. „Wann, wenn nicht jetzt?“, antwortete der Koch, ohne sich umzuwenden.
Ich kann mir vorstellen, wie sich Dôgen in diesem Augenblick gefühlt haben muss. Praxis und Worte werden von diesem Augenblick an ein anderes Gewicht für ihn gehabt haben. Er hatte erkannt, dass der Buddhaweg nicht in der Ferne, sondern direkt unter seinen Füßen lag.
Immer noch auf der Suche nach einem wirklichen Zenmeister, pilgerte Dôgen weiter durch China – konnte jedoch lange Zeit keinen wahren Lehrer finden. Die meisten, so schreibt er später, waren mehr an Ruhm und einer guten Position im Tempel interessiert als an der Zen-Praxis.
Erst nach vielen erfolglosen Versuchen fand Dôgen seinen Meister in Nyojô , der den Sôtô-Zweig des chinesischen Zen vertrat. Obwohl er sich bereits im hohen Alter befand, kümmerte er sich persönlich um die Ausbildung seiner Schüler. Später zitiert Dôgen seinen Meister mit den Worten: „Ich bin bereits alt und sollte mich eigentlich in eine Einsiedelei zurückziehen. Aber als Abt des Klosters ist es meine Aufgabe, euch den Weg aus der Irre zu weisen. Manchmal habe ich keine andere Wahl, als zu schimpfen oder zum Bambusstock zu greifen. Bitte glaubt mir, wie weh mir das tut. Ich tue es nur an der Stelle Buddhas. Ach, Brüder! Habt Gnade und verzeiht mir!“
Eines Abends schlief Dôgens Nachbar beim Zazen ein. Nyojô, dem nichts entging, rief laut: „Shinjin-datsuraku!“
Shinjin-datsuraku wird mit vier Schriftzeichen geschrieben (身心脱落), die als „Lass Körper und Geist los!“ übersetzt werden können. Es heißt, dass es Dôgen genau in diesem Moment, als er die Stimme seines Meisters vernahm, gelang, Körper und Geist loszulassen. Der Begriff des „Losgelassenen Körper-Geists“ spielt auch im Genjôkôan, dem ersten Kapitel des Shôbôgenzô, mit dem wir uns noch beschäftigen werden, eine große Rolle. Allerdings streitet sich die Wissenschaft darüber, ob Nyojô das tatsächlich gesagt hat. In der chinesischen Spruchsammlung von Dôgens Meister sind die Gelehrten nämlich nicht fündig geworden. Dort stehen lediglich vier Schriftzeichen (心塵脱落), die auf Japanisch ebenfalls „Shinjin-datsuraku“ ausgesprochen werden, aber eine andere Bedeutung haben: „Fege den Staub aus dem Geist!“
Ist es möglich, dass Nyojô den schlafenden Mönch aufforderte, aus seinen Illusionen aufzuwachen, und Dôgen ihn missverstand? Aber – falls dem so sein sollte – ist dann Dôgens Missverständnis nicht viel näher an der Essenz des Zen als der Ausspruch seines Meisters?
Es gibt eine berühmte Anekdote im Zen, die von der Übertragung der Lehre von Kônin an Enô berichtet: Als sich Kônin, der fünfte Patriarch des Zen in China, von seinem Amt zurückziehen wollte, forderte er seine Schüler auf, ihr Verständnis der Zen-Praxis in einem Gedicht auszudrücken. Nur der älteste unter den Schülern, der von hoher Bildung war, schrieb ein Gedicht:

Dieser Körper: Der Baum des Erwachens.
Dieser Geist: Unbeweglich wie ein klarer Spiegel.
Augenblick für Augenblick: Ich will ihn sauber halten
Damit kein Staubkorn sich auf ihm niedersetzen möge

Enô hatte zu dem Zeitpunkt weniger als ein halbes Jahr in der Klostergemeinschaft als ein Handlanger gedient. Da er weder lesen noch schreiben konnte, ließ er sich das Gedicht von einem Mönch vorlesen und trug diesem dann seine eigene Version vor, mit der Bitte, sie niederzuschreiben:

Das Erwachen braucht keinen Baum.
Und wo siehst du einen unbeweglichen Spiegel?
Im Ursprung gibt es kein einziges Ding.
Wo, sag mir, sollte sich Staub niederlassen?

Es heißt, dass nur Kônin das große Erwachen Enôs erkannte. Die übrigen Mönche wollten nicht von der Vorstellung lassen, dass Praxis die Tilgung der Verunreinigungen eines an sich makellosen Geistes bedeute. Deshalb übergab Kônin seinem Schüler spät nachts die Robe der Patriarchen und schickte ihn allein auf den Weg, um Zen in der Welt zu verbreiten.
Auch wenn bei dieser Legende die späteren Schüler Enôs ihre Hand im Spiel hatten, dürfte doch klar sein, dass im Zen die dualistische Vorstellung von einem reinen Geist, der vom Staub befreit werden muss, nicht hoch im Kurs steht. Deshalb geht man auch bei Nyojô davon aus, dass er als Dôgens Lehrer selbstverständlich nicht bloß das Entfernen des Staubs aus dem Geist angemahnt hat, sondern sich in seinem Ausruf selbst das Abfallen des Körper-Geists ausdrückt. Dass sich dieser Ausruf später nicht in seinen gesammelten Sprüchen wiedergefunden hat, könnte heißen, dass keiner der chinesischen Schüler die ganze Tiefe der Lehre des Meisters verstanden hatte.
Dôgen lernte von Nyojô, dass sich in der Praxis des Zazen selbst das Erwachen (das heißt das Abfallen von Körper-Geist) ausdrückt. Zazen ist kein Mittel zum Zweck. Der Praktizierende sitzt nicht, um zum Buddha werden. Es ist umgekehrt: Er sitzt, weil er Buddha ist. Die Praxis ist von der Buddhaschaft nicht zu trennen.
Nyojô ernannte seinen japanischen Schüler zu seinem Nachfolger. Dôgen kehrte später mit der Asche Myôzens, der in China verstorben war, nach Japan zurück, um die Lehre des Zen zu verbreiten. Er legte wie sein Meister besonderen Wert darauf, dass Praxis und Erwachen nicht getrennt voneinander, sondern eins sind. Dôgen gründete südlich von Kyôto den Kôshôji, das erste unabhängige Zenkloster in Japan, und lehrte sowohl Mönche wie auch Laien die Praxis des Zazen. Als Dôgen in Japan gefragt wurde, was er in China gelernt habe, sagte er: „Mit leeren Händen bin ich zurückgekommen. Nicht einen Flecken der Buddhalehre habe ich an mir. Dafür habe ich einen weichen, geschmeidigen Geist mitgebracht. Dies ist die Essenz des Zen.“
Gleichzeitig ging Dôgen aber keine Kompromisse ein, wenn es um die Lehre und Praxis des Buddhawegs ging. Insofern ist es nicht überraschend, dass er keinen Platz im Establishment des Buddhismus seiner Zeit finden konnte. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Klerikern der Tendai-Schule, denen es mehr um politische Einflussnahme als um die Klärung existenzieller Fragen ging. Für einen, der sich der Geschmeidigkeit seines Geistes rühmt, ist Dôgen recht deutlich, wenn er von seinen buddhistischen Zeitgenossen spricht: „Diese Tollköpfe wissen nicht, wovon sie reden. Ferner als fern sind sie vom Buddhaweg.“
Um den Anfeindungen in Kyôto zu entgehen, zog er sich im Jahr 1243 in die entfernte Präfektur Echizen zurück. Dort gründete er den Daibutsuji , der später umbenannt wurde in Eiheiji , das „Kloster des ewigen Friedens“. Begleitet wurde er von seinem engsten und wichtigsten Schüler Ejô , der zwei Jahre älter als Dôgen war. Auf ihn geht auch das Shôbôgenzô Zuimonki zurück, Aufzeichnungen Ejôs von meist kurzen Reden und Ansprachen seines Meisters in Kyôto, die mit dem eigentlichen Shôbôgenzô nicht zu verwechseln sind. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das Korpus von Dôgens Hauptwerk in seiner heutigen Form ohne Ejô existieren würde, da dieser auch bei der Verfassung und Korrektur des Shôbôgenzô eine unverzichtbare Hilfe für seinen Meister dargestellt haben dürfte. Dôgen und Ejô wurden von einer Gruppe von Mönchen in die Berge begleitet, die ursprünglich der Daruma-Schule angehört hatten. Deren Gründer, Dainichi Nônin , stand zwar im Geist dem chinesischen Rinzai-Zen nahe, behauptete jedoch, ohne direkte Instruktion eines Lehrers zum Erwachen gelangt zu sein. Nach dem Tod Nônins wurde die Schule für einige Jahrzehnte von seinen Schülern weitergeführt, doch die meisten von ihnen schlossen sich später Dôgen an. Das mag erklären, warum Dôgen in seinem späteren Werk besonders die authentische Übertragung der Lehre vom Meister zum Schüler wichtig war. Auch seine gelegentlichen Ausfälligkeiten gegenüber dem Rinzai-Zen (das die Notwendigkeit subjektiver Erleuchtungserfahrungen betont) sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Im Jahr 1247 folgte Dôgen einer Einladung des Regenten Hôjô Tokiyori nach Kamakura im Osten Japans. Dôgen verbrachte ungefähr ein halbes Jahr in der damals noch vergleichsweise neuen Hauptstadt (Kyôto war bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts die Hauptstadt Japans gewesen und blieb auch in den folgenden fünfhundert Jahren die kulturelle Metropole des Landes), kehrte dann aber in den Eiheiji zurück. Was genau Dôgen zu dieser Reise motivierte, ist ungewiss. Interessant ist jedoch das Schicksal seines Begleiters Genmyô, der offenbar in Kamakura eine Geldspende des Regenten für den Erhalt des Eiheiji erhalten hatte. Entweder war Dôgen über diese Spende nicht froh oder es missfiel ihm, dass Genmyô es für sein eigenes Verdienst hielt, diese Spende erhalten zu haben. Wie dem auch sei, Dôgen verwies Genmyô für immer des Klosters. Und nicht nur das: Er wies seine anderen Schüler an, die Holzplattform, auf der Genmyô Zazen praktiziert hatte, abzubrechen und die Erde darunter bis zu einer Tiefe von über zwei Metern auszugraben und außerhalb der Klostermauern zu entsorgen. Auch Dôgen war offenbar nur ein Mensch.
Kurz vor seinem Tod verließ Dôgen noch einmal den Eiheiji, um in Kyôto die Hilfe eines Arztes zu suchen. Diese Reise blieb jedoch erfolglos und Dôgen verstarb 1253, nach japanischer Zählart vierundfünfzigjährig, an einer unbekannten Krankheit. Das letzte Gedicht, das er beim Sterben verfasste, lautete:

Diese vierundfünfzig Jahre erleuchten das Firmament
Der Purzelbaum eines einzigen Menschen
Stellt die Welt auf den Kopf
Ah! Meinem Körper fehlt nichts
Quicklebendig kehrt er zurück zu den gelben Quellen!