Wie begegne ich einem Sterbenden, der mit Buddhismus nichts am Hut hat?

Q: Ich arbeite als Krankenschwester und würde gerne wissen, wie ich als Zen-Nonne sterbenden Menschen begegnen kann, die nichts mit Buddhismus am Hut haben, die vielleicht Angst oder Wut in sich tragen? Und: ich würde ebenfalls gerne wissen welche Zeremonien vor dem Tod, also eigentlich direkt beim Sterben für Zen Buddhisten wichtig sind. Ich habe Bekannte, die Kadampa Buddhismus praktizieren und sie erzählen mir von einer Reihe von Ritualen, Zeremonien, Mantras etc...

Melbourne Zen Hospice: 生死 Comings & Goings: https://youtu.be/fm8Cx2xuUfo

Seikan aus Melbourne besucht Antaiji im September 2013: https://antaiji.org/de/%e3%83%a1%e3%83%ab%e3%83%9c%e3%83%ab%e3%83%b3%e3%81%ae%e8%81%96%e8%a6%b3%e3%81%95%e3%82%93%e3%80%812013%e5%b9%b49%e6%9c%8822%e6%97%a5/

Seikans Mail vom Oktober 2020: Ich entschied mich Anfang dieses Jahres, gerade als es mit Covid losging, in Los Angeles erst einmal alles aufzulösen und wegzugeben, einschließlich aller Buddhistischen Sachen. Nur die Kesa habe ich noch, manchmal zum sitzen, aber auch ab und zu als Schlafdecke wenn ich unterwegs bin. Ich bin in Nairobi, Kenia. Ungefähr seit einem halben Jahr. Hier unter den Kenianern scheint es keine offiziellen Meister Titel zu geben, aber als Zen Meisterrde Dir bestimmt schnell auffallen, daß hier alles Geschehene so schnell wieder vergessen ist, daß es die Vergangenheit praktisch nicht gibt, und die Zukunft sowieso nicht.

Ein Text, in dem Dogen unter anderem auch über die Zwischenwelt zwischen diesem Leben und dem nächsten spricht: https://antaiji.org/archives/deu/dos.shtml

Zitat aus "Der Mond leuchet in jeder Pfütze", in dem ich einen Text erkläre, der in der Nacht vor der Beerdigung an der Seite frisch Verstorbener gelesen wird:

In diesem Buch möchte ich mich jenem Kapitel aus dem Shobogenzo besonders widmen, das Dogen ganz am Ende seines Lebens geschrieben hat. Es trägt den Titel „Hachidainingaku“, was man mit „Das achtfache Erwachen eines erwachsenen Menschen“ übersetzen könnte. Der Text beginnt mit den Worten:

"Alle Buddhas sind erwachsene Menschen. Das, wozu erwachsene Menschen aufwachen, wird das achtfache Erwachen großer Menschen genannt. Das Erwachen zu dieser Lehre ist der Grundstein des Nirwana. Dies ist die letzte Lehre unseres ersten Meisters, Shakyamuni Buddha, die er in der Nacht seines Eintritts in das Pari-Nirwana gab."

Der Begriff „Buddha“ ist in der Geschichte des Buddhismus auf unterschiedlichste Art definiert worden. Doch Dogen macht es dem Leser leicht: Buddha zu sein, das bedeutet: erwachsen zu sein. Als Voraussetzung für das Erwachsensein werden von Dogen acht Punkte genannt, auf die ich im Folgenden nach und nach ausführlicher eingehen möchte:

1. Geringe Ansprüche haben

2. Wissen, dass man genug hat

3. Die Stille genießen

4. Sich mit Leib und Seele der Praxis widmen

5. Nicht unaufmerksam sein

6. Sich in Konzentration vertiefen

7. Sich in Weisheit üben

8. Keine leeren Theorien verfechten

Geringe Ansprüche und das Erkennen, dass es an nichts fehlt – das sind die ersten beiden Aspekte des „achtfachen Erwachens erwachsener Menschen“, von dem der Shobogenzo, das Hauptwerk des Zen-Meisters Dogen, handelt. Mit diesem Text sind wir eingeladen, ebenfalls die Augen für den Dharma, also für die Wahrheit oder Wirklichkeit, die der Buddha Shakyamuni vor 2500 Jahren erkannte, zu öffnen. Wir sind eingeladen, selbst zu Buddhas und damit zu wirklich erwachsenen Menschen zu werden:

1. Geringe Ansprüche haben

Lass los von den überflüssigen Dingen, nach denen deine fünf Sinne verlangen.

Buddha sprach: „Meine Schüler, ihr solltet verstehen, dass einer, der viele Ansprüche hat, auch viel Mühe und Not hat, denn er versucht viel zu erlangen. Ein Mensch mit geringen Ansprüchen versucht nichts zu erlangen, und weil er anspruchslos ist, empfindet er auch keine Qual. Schon allein deshalb sollte man sich mit geringen Ansprüchen begnügen. Ganz zu schweigen von den vielen Verdiensten, die sich jemand dadurch erwirbt. Ein solcher Mensch braucht sich nicht zu verstellen, um die Gunst anderer zu gewinnen, und er wird auch nicht von seinen Sinnen hin und her gerissen. Wer sich mit geringen Ansprüchen begnügt, ist gelassenen Geistes und kennt weder Sorge noch Leid. Er hat genug an den Dingen, die ihm begegnen, nie fehlt es ihm an irgendetwas. Wer genügsam ist, lebt im Nirwana. Das bedeutet es, geringe Ansprüche zu haben."

2. Wissen, dass es genügt

Halte Maß mit den Dingen, die du empfängst.

Buddha sprach: „Meine Schüler, wenn ihr dem Leid entfliehen wollt, solltet ihr genau erkennen, dass ihr bereits genug von allem habt. Dieses Wissen wird euch beschützen wie eine sichere Burg: Ihr befindet euch im grenzenlosen Glück! Ein Mensch, der weiß, dass er genug hat, ist zufrieden und glücklich, selbst wenn er auf dem Erdboden schläft. Wer nicht weiß, dass er genug hat, dem genügt selbst ein Himmelspalast nicht. Wer nicht weiß, dass er genug hat, ist arm in seinem Reichtum. Wer weiß, dass er genug hat, ist selbst in Armut reich. Ein Sklave seiner Sinne ist der, der nie genug hat. Bemitleidet wird er von dem, der weiß, dass er genug hat. Das bedeutet es, zu wissen, dass es genügt.“

Es scheint, als würden die beiden ersten Aspekte des Erwachsenseins ein und denselben Gedanken formulieren. Und wirklich: Es leuchtet unmittelbar ein, dass jemand mit nur geringen Ansprüchen leichter erkennen wird, dass er genug zum Leben hat; wie auch, dass jemand, der von allem genug hat, eher selten Unangemessenes fordern wird. Und doch fügt der zweite Aspekt dem ersten etwas Wichtiges hinzu: Es reicht nicht, sich vor allzu großen Ansprüchen zu hüten. Man muss auch erkennen, dass alles schon da ist, was man braucht, um glücklich zu sein. Was will man mehr als diesen bestimmten Augenblick des Lebens, der pure Gegenwart ist? Als diesen einen Atemzug, der einem gerade geschenkt wird?

Zitat aus "Der Mond leuchet in jeder Pfütze": Der dritte Aspekt dieses Erwachens lautet: „das Genießen der Stille“. Dazu heißt es in jenem Kapitel des Shobogenzo, in dem Dogen die letzte Predigt des Buddha wiedergibt:

Buddha sprach: ‚Meine Schüler, wenn ihr Frieden und Glück sucht, solltet ihr euch abseits vom lärmenden Getümmel halten und in Ruhe und Einsamkeit hausen. Ein Mensch, der in der Stille haust, wird von den Himmelsmächten geehrt. Deshalb solltet ihr Verwandte ebenso meiden wie alle anderen Menschen. Wer die Gesellschaft anderer liebt, lädt sich die Gesellschaft von Sorge und Leid ins Haus. Die Äste des Baums, auf dem sich zu viele Vögel niederlassen, werden brechen. Weltliche Begierden binden uns ans Leiden, und wir versinken wie ein alter Elefant langsam im Sumpf. Das meine ich, wenn ich euch rate: Haltet euch fern von der Gesellschaft!‘

Ich glaube nicht, dass hier von äußerer Ruhe gesprochen wird. Es geht auch nicht darum, sich von der Welt zurückzuziehen. Das Leben auf einer einsamen Insel kann nicht die Lösung sein. Vielmehr gilt es, Ruhe vor den Zumutungen des eigenen Ichs zu finden. Das gelingt nur, wenn man aufhört, in der Welt der Vergleiche zu leben und sich Fragen zu stellen wie: „Warum haben die anderen mehr Erfolg als ich?“ oder „Warum bin ich mit meinem Unglück so allein?“. Die Stille zu genießen, das bedeutet, festen Grund in sich selbst zu haben. Stille widerfährt einem nicht, sie kommt von innen, wenn man sich der Welt öffnet und die Dinge so nimmt, wie sie geschehen. Wenn man bereit ist, den Klängen der Welt zu lauschen, wird man Stille auch in der lautesten Großstadt finden.

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Der vierte der acht Aspekte des Erwachens großer Menschen lautet: „sich mit Leib und Seele der Praxis widmen“. „Das bedeutet“, schreibt Dogen, „sich ohne Unterbrechung allen guten Dingen zu widmen, lauter und nicht zerstreut; fortzuschreiten, ohne einen Schritt zurückzutun.“ Ein Zitat aus dem Shobogenzo erläutert diesen Gedanken:

"Wenn ihr euch mit Leib und Seele der Praxis widmet, werdet ihr mit keiner Sache je Schwierigkeiten haben. Es ist so wie mit dem steten Tropfen, der den Stein höhlt. Stell dir vor, du versuchst mit einem rotierenden Holzstab auf einem Brett Feuer zu entfachen. Wenn du deine Vorsätze häufig änderst und dann jedes Mal aufhörst, den Stab zu drehen, während das Brett noch nicht heiß ist, wird niemals ein Funken fliegen, der ein bleibendes Feuer entfachen kann, so sehr du dir es auch wünschen magst. Widme dich deshalb mit Leib und Seele der Praxis."

Liebe und Glück erfordern unsere ständige Hingabe. Man kann sie nicht „machen“, sie werden allein in ständiger Praxis sichtbar. Es kommt auf ihren Ausdruck im Alltag an, darauf, wie wir anderen Menschen begegnen und wie wir unser Leben führen. Wir müssen loslassen, um Liebe und Glück erfahren zu können.

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„Nicht unaufmerksam sein“: So lautet der fünfte Aspekt des achtfachen Erwachens eines großen Menschen. Man muss wachsam bleiben und sich immer wieder fragen: In welche Richtung möchte ich gehen? Was ist mir wirklich wichtig? Welchen Verlauf soll mein Leben nehmen? In Dogens Shobogenzo heißt es dazu:

"Wer nie unaufmerksam ist, der läuft auch nicht Gefahr, dass sich Illusionen seiner bemächtigen. Deshalb solltet ihr euch stets in Aufmerksamkeit schulen und sie auf euren Geist gerichtet halten. Verliert ihr eure Aufmerksamkeit, so verliert ihr all eure Verdienste. Ist die Kraft eurer Aufmerksamkeit stark, so werdet ihr keinen Schaden erleiden, selbst wenn ihr euch in der Mitte der Begierden eurer fünf Sinne befindet. Es ist so wie bei einem, der mit einer Rüstung bekleidet in die feindlichen Reihen eindringt: Er hat nichts zu befürchten."

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„Sich in Konzentration vertiefen“, so lautet der sechste der acht Aspekte des Erwachens eines großen Menschen. Man könnte auch sagen: inmitten der Dinge nicht in Unruhe geraten. Im Shobogenzo kann man dazu lesen:

"Wenn ihr euch eures Geistes bedient, dann befindet sich euer Geist in Konzentration. Wenn euer Geist konzentriert ist, erkennt er die Struktur des Entstehens und Vergehens sämtlicher Dinge in dieser Welt. Ihr sollt euch mit ganzem Herzen in die Konzentration versenken. Wenn euer Geist konzentriert ist, zerstreut er sich nicht. Ein Haushalt, der sich um Wasser sorgt, staut es in einem Damm. Wer sich in der Praxis übt, sollte auf gleiche Weise das Wasser der Weisheit sammeln, indem er sich in Konzentration vertieft und nichts entrinnen lässt."