Bodhigeist, Bergpredigt und Hilfe zur Selbsthilfe: Wer wischt mir den Popo ab?

Q: Hallo Muho, erst einmal möchte ich Danke sagen, für die Zeit, die du dir immer nimmst, um auf die Fragen und Kommentare deiner Zuhörer/Zuschauer einzugehen und deine Gedanken und Sicht auf bestimmte Dinge mit uns zu teilen. Nun habe ich auch einmal eine Frage. Im (Zen) Buddhismus geht es unter Anderem um Mitgefühl und Fürsorge. Darum, selbstlos, nicht ich-behaftet (egoistisch) zu handeln. Da Alles miteinander verbunden ist und es kein "ich" getrennt vom Rest der Welt gibt, hat unser Handeln immer auch eine Reaktion zur Folge (was man auch gerne als Karma bezeichnet).

Wenn ich einem Menschen helfe, oder ihn in irgendeiner Form glücklich mache, wirkt sich dies auch auf mich aus und es freut mich, dass ich der Person helfen, etwas Gutes tun konnte. Was aber nun, wenn ich, um dieser Person zu helfen, oder sie glücklich zu machen, wider meinen Prinzipien (oder Empfinden für Recht und Unrecht) handeln muss, wohl wissend, dass es mich freut, dieser Person helfen zu können?

Man möchte dieser Person natürlich helfen, aber ist dies eine Entschuldigung, etwas "unrechtes" oder falsches zutun? Es wird einen erfreuen, dass man helfen konnte, allerdings wird einen das "falsche Handeln" quälen (womit wir wieder beim Karma sind). Wie ist es, wenn man eine Person glücklich macht. Selbstlos sich um das Wohlergehen dieser Person bemüht, auch wenn man selbst dabei nicht immer glücklich ist? Man stellt seine eigenen "Bedürfnisse" zurück, damit diese Person unbeschwert und glücklich ist. Allerdings wird dies als selbstverständlich hingenommen und vielleicht sogar ausgenutzt.

Ich denke dies ist eine komplizierte Situation, wenn man die zweite edle Wahrheit betrachtet. Kann man eine Person wirklich so einfach ganzheitlich glücklich machen? Oder ist dies eigentlich nur eine Befriedigung seiner Bedürfnisse und somit nur ein temporäres Glück? Kann man generell eine Person glücklich machen, wenn man sich selbst dabei völlig außer acht lässt? Man ist ja ebenfalls eine Person, ein Teil des Ganzen. Vielleicht bist du ja schonmal in einer ähnlichen Situation gewesen, in der deine Gutmütigkeit / Selbstlosigkeit ausgenutzt wurde. Wie gehst du damit um? Ist es eine "Herausforderung" dennoch auf diesem (deinem) Weg zu bleiben? Ist die Hoffnung da, dass diese Person irgendwann "aufwacht" und merkt, was passiert ist? Oder doch lieber den Spiegel vorhalten und das Verhalten dieser Person reflektieren?

Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausgedrückt. Vielleicht möchtest du deine Gedanken zu diesem Thema ja teilen. Danke für deine Zeit.

Zitat aus "Futter für Pferd und Esel":

HOTSUBODAISHIN

Aufbruch zum Weg des Herzens

Der Schwerpunkt von Dôgens Lehre verschiebt sich gegen Ende seines Lebens. In jungen Jahren ging es ihm in erster Linie um Zazen. Jeder, der sitzt, ist ein sitzender Buddha! In späten Jahren betont Dôgen stärker den Geist des Bodhisattvas. Ein Bodhisattva ist einer, der die eigene Buddhaschaft auf später verschiebt, um in diesem Leben anderen auf dem Weg zu helfen.

Auf besonders klare Weise drückt Dôgen das in einem der letzten Kapitel des Shôbôgenzôs aus, das den Titel Hotsubodaishin trägt. Darin geht es um das erste Erwecken des Bodhi-Geistes. Wie ist es möglich, diesen Geist zu erwecken? Wer erweckt ihn? Und wie drückt sich das Erwachen des Geistes aus? Um all diese Fragen geht es in dem Kapitel, dessen Titel ich ganz frei als „Aufbruch zum Weg des Herzens“ übersetzt habe. Im Gakudô-yôjinshû definiert Dôgen den Geist des Weges als das Erkennen der Vergänglichkeit. Im Tenzo-kyôkun, den „Anweisungen für den Koch“, schreibt er wiederum:

„Für den Koch bedeutet es Geist des Weges, wenn er die Ärmel weit hochkrempelt.“

Später spricht Dôgen vom freudigen Geist, Elterngeist und großen Geist – drei Begriffe für ein und denselben Geist. Zunächst der freudige Geist: Der Koch solle sich über seine Aufgabe freuen. Hätte er ein anderes Karma gehabt, dann wäre er vielleicht in der Hölle oder im Himmel geboren, anstatt als Mönch in der Klosterküche dienen zu dürfen. Als ich diese Zeilen zum ersten Mal las, fragte ich mich, ob Dôgen noch richtig tickt: Die Arbeit in der Klosterküche kam mir damals selbst wie die Hölle vor. Mit einem Engelsleben über den Wolken hätte ich jederzeit getauscht.

Aber Dôgen denkt anders: Die Engel im Himmel kennen kein Leiden und ohne Leiden keine Gelegenheit, sich über das Leben Gedanken zu machen. Wie von selbst fliegen ihnen die Brathähnchen zu, natürlich aus Bio-Mais, denn welcher Engel würde heute noch Fleisch essen! In der Hölle ist das Leiden dagegen so groß, dass gar keine Zeit mehr bleibt, nach einem Weg der Praxis zu suchen. Wer dagegen in der Küche steht, sieht sich mit realen Problemen konfrontiert: Wie kann ich in der begrenzten Zeit, mit dem Wenigen, das die anderen Mönche vom Feld mitgebracht haben, etwas herzaubern, mit dem jeder zufrieden ist? Kaum ein Kôan dürfte schwieriger sein. Auf das, was der Koch selbst gern essen würde, kommt es dabei nicht an.

Der Elterngeist ist auch nicht so einfach: Kaum ein Mönch weiß aus eigener Hand, was es bedeutet, Kinder zu haben. Da kommt es vor, dass sich der Koch im Winter denkt: „Wie kommt es, dass ich hier allein in der kalten Küche stehe, während der Rest in der geheizten Meditationshalle schlummert? Von morgens bis abends muss ich für die kochen, aber was haben die jemals für mich gemacht?“ So denkt keine Mutter, die für ihre kleinen Kinder kocht. Klar, wenn die Kinder größer werden, freuen sich die Eltern über Hilfe im Haushalt. Aber selbst dann rechnet der Elterngeist nicht: „Ich habe soviel getan, die anderen schulden mir noch etwas!“

Für die Eltern sind die Kinder ein Teil ihres Lebens. Auf die gleiche Weise sollte auch für den Koch der Rest des Klosters ein Teil seiner selbst sein.

Den großen Geist vergleicht Dôgen mit einem Berg oder dem Meer. Wenn staubiger Wind durch die Berge weht, wehren sich diese nicht. Sie versuchen nicht, sich vor dem Regen zu schützen. Das macht sie zu Bergen. Alle Flüsse fließen ins Meer, saubere wie schmutzige. Das Meer nimmt jeden einzelnen von ihnen auf, ohne zu urteilen. Auf diese Weise sollte auch der Geist des Kochs alle Dinge so annehmen, wie sie sind, ohne darüber zu urteilen, ob sie ihm passen oder nicht.

Die Definitionen für den Geist des Weges unterscheiden sich nicht unerheblich. Das ändert nichts daran, dass sie alle auf den einen Geist weisen. In diesem Kapitel wählt Dôgen wieder ganz andere Worte, um diesen Geist in Worte zu fassen.

"Den Geist des Weges zu erwecken bedeutet, diesen Wunsch zu entfachen und in die Tat umzusetzen: Ich will alle leidende Wesen erlösen, bevor ich selbst die Erlösung finde! Deine Erscheinung mag gering sein, doch wenn du nur diesen einen Wunsch hegst, dann wirst du zum Lehrer von Menschen und Himmelswesen."

Fortsetzung aus "Futter für Pferd und Esel": .

..Als ich noch Novize in Antaiji war, rief mich mein Meister eines Abends zu einem Gespräch unter vier Augen zu sich: „Jeder von uns hier im Kloster weiß, wie schwierig es am Anfang sein kann. Auch du scheinst es nicht leicht zu haben. Wo steckst du fest?“ Wo steckte ich fest!? Er hätte lieber fragen sollen, wo irgendetwas nach Plan ging. Die Arbeit im Wald und auf den Feldern überforderte mich, die Ziege, für die ich verantwortlich war, wollte keine Milch geben, und überhaupt ging damals wirklich nichts so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Am meisten war ich von meinen japanischen Klosterbrüdern enttäuscht. Wie jedes Kloster ist auch Antaiji streng hierarchisch gegliedert, und von einem Novizen wird erwartet, dass er auf das hört, was ihm die älteren Mönche sagen. Ob das mit der eigenen Meinung übereinstimmt, interessiert keinen. Es spielt auch keine Rolle, ob die älteren Mönche erleuchtet sind oder nicht. Nicht einmal das tatsächliche Alter ist wichtig, es kommt nur darauf an, wer als Erster durch das Klostertor eingetreten ist. Doch bei den meisten meiner Klosterbrüder hatte ich den Eindruck, dass es sowohl beim Verständnis der Lehre als auch der Praxis derselben ziemlich haperte. Leider konnte ich auch von mir selbst nicht behaupten, in den ersten zwei Jahren große Fortschritte auf dem Weg des Erwachens gemacht zu haben.

Zwar gab ich mir beim Zazen die beste Mühe; selbst wenn alle um mich herum schnarchend auf dem Kissen vor und zurück wippten, saß ich unbeweglich wie Bodhidharma. Und dennoch: Das Erwachen wollte sich nicht einstellen, auch nicht nach ein oder zwei Jahren! Was machte ich falsch? Hatte ich etwas übersehen?

Also antwortete ich: „Absolut nichts geht so, wie es sollte! Ich tue mein Bestes bei der Arbeit, beim Kochen, beim Zazen. Täglich muss ich mir das Gemecker der anderen anhören, die es auch nicht besser machen als ich – im Gegenteil. Ich warte auf den Tag, an dem einer von denen einmal für eine Stunde gerade und wach im Geist auf dem Kissen sitzt. Was wollen die eigentlich alle hier im Kloster? Ich habe nicht das Gefühl, das irgendjemand außer mir hier auf der Suche nach Erwachen ist. Die anderen sind doch nur wegen der drei täglichen Mahlzeiten hier!“

Die Antwort meines Meisters traf mich wie ein Faustschlag: „Du hast ja wirklich kein Körnchen vom Geist des Weges.“

Was? Ich? Ich, der von allen im Kloster am ernsthaftesten Zazen praktizierte? Ich, der allein wach war, wenn alle anderen schliefen? Ich, der als einziger Ausländer den weiten Weg über das Meer bis nach Japan gemacht hatte? Ich sollte den „Geist des Weges“ nicht besitzen!?

Umformuliert bedeutet der Geist des Weges folgenden Wunsch: „Ich will nicht zum Buddha werden, bevor nicht alle anderen Buddha sind.“ Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass meine Klosterbrüder vor mir zu Buddhas werden sollten. Warum?

Erstens: Behauptet Zen nicht, dass ich und die anderen nicht voneinander getrennt werden können? Wenn alle Erscheinungen im Grunde von einem Wesen sind, wie sollte es da möglich sein, andere zu erlösen, bevor man selbst erlöst wird?

Und zweitens: Wie ist es einem möglich, der die Erlösung noch nicht gefunden hat, andere zu erlösen? Muss man nicht zuerst selbst die Erlösung erfahren haben, bevor man einem anderen dazu verhelfen kann? So logisch und vernünftig diese Zweifel klingen mögen, so verkehrt sind sie Gewiss, alles ist eins. Deshalb wäre es auch nur logisch, zu behaupten: „Hilf dir selbst, so hilfst du allen Lebewesen!“ Selbst unter sogenannten erleuchteten Meistern gibt es solche, denen es am Ende des Tages nur um die eigene Person, das eigene Geld, das eigene Ansehen, die eigene Erlösung geht. „Wenn es mir gut geht, geht es dem ganzen Universum gut!“, sagen sie. Ist das Erleuchtung?

Nein, erlöst ist der, der die Illusion des „Ichs“ durchschaut und davon losgelassen hat. Wer zuerst selbst erlöst werden will, bevor er sich um die anderen kümmert, wird nie erlöst. Umgekehrt ist der, der auf seine Buddhaschaft für andere verzichtet, in Wirklichkeit ein Buddha. In dem Augenblick, in dem er die eigene Erlösung vergisst und an das Heil der anderen denkt, löst er sich aus seiner Ichbezogenheit – und genau das macht die Erlösung aus: „Ich habe solange nach dem gesucht, was die Weisen als Glück, Wahrheit, Gott, Buddha oder Nirwana bezeichnet haben. Selbst nach Jahren konnte ich es nicht finden. Heute habe ich beschlossen, darauf zu verzichten und anderen zu helfen. Was für ein Wunder, in diesem Wunsch selbst steckt das Geheimnis, nach dem ich solange gesucht hatte!“