Wie unterscheide ich einen Zen-Meister von einem, der sich nur so nennt?

Q: Hallo Meister Nölke! Mich würden Deine Beobachtungen und Erfahrungen zu dem Unterschied zwischen Zenmeistern und Sektenführern interessieren. Wie schmal ist der Grad zwischen der "Zermalmung des Egos eines Mönches" und des spirituellen Missbrauchs einer Lehrer-Schüler Beziehung? Im Shobogenzo hinterfragt Dogen selbst die Wahrhaftigkeit eines Lehrers, insbesondere in der damaligen Zeit und den folgenden. Wie drückt sich dies in der heutigen Zeit, vor allem der westlichen Welt, aus, in der die Robe des "Buddhismus" oft als ein exotischer Freischein für moralische Überlegung entfremdet wird? Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, frage aus voller Aufrichtigkeit und bedanke mich für die ehrlichen Beiträge.

Kosho Uchiyama ( https://antaiji.org/de/services/english-to-you-2-kosho-uchiyama-roshi/ ):​

Wenn du, bevor die ersten zehn Jahre verstrichen sind, damit anfängst, dir gemäß deines eigenen Maßstabs Meinungen über die guten und schlechten Seiten des Meisters und der Übungstätte zu bilden, und auf die Suche gehst nach einem besseren Meister oder einer anderen Übungsstätte, dann folgst du damit lediglich dem Maßstab deiner eigenen Gedanken und blähst so dein Ego auf. Wenn du deinem Ego folgst, dann bedeutet das leider, dass du dem Buddhaweg nicht folgst. Von Anfang an wirst du dir im Klaren darüber sein müssen, dass jeder Meister nur ein Mensch und keinesfalls perfekt ist. Wichtig ist deine eigene Übung, deren Ziel sein muss, dem unvollkommenen Meister auf so vollkommene Weise wie möglich zu folgen. Wenn du deinem Meister auf diese Weise folgst, dann ist diese Übung die Grundlage, auf der du dir selbst folgst. Deshalb sagt Dogen Zenji:

„Dem Buddhaweg folgen bedeutet, sich selbst zu folgen.“ (Genjokoan)

„Dem Meister zu folgen, den Sutras zu folgen, all das bedeutet, sich selbst zu folgen. Die Sutren sind die Schrift deiner selbst. Der Meister ist der Meister deiner selbst. Wenn du eine lange Wanderschaft unternimmst, um nach Meistern zu suchen, dann machst du damit eine lange Wanderschaft auf der Suche nach dir selbst. Wenn du hundert Gräser pflückst, pflückst du hundertmal dich selbst, und wenn du auf zehntausend Bäume kletterst, kletterst du zehntausend mal auf dich selbst. Verstehe, dass, wenn du auf diese Weise übst, du nichts als dich selbst ausübst. Wenn du so übend verstehst, wirst du von dir selbst ablassen und dadurch dich selbst erst wirklich zu schmecken bekommen.“ (Jisho-zanmai)

Dass es wichtig für die Übung ist, einen Meister zu finden, wird oft gesagt, aber wer ist es eigentlich, der entscheidet, wer der richtige Meister ist? Entscheidest du es nicht letztlich mit dem Maßstab deiner eigenen Gedanken (d.h. deinem Ego)? Solange du nach dem Meister außerhalb deiner eigenen Übung suchst, wirst du damit nur dein eigenes Ego aufblähen. Der Meister existiert nicht außerhalb deiner selbst: Das Zazen, in dem du selbst zu dir selbst wirst, ist der Meister. Das bedeutet die Zazen-Übung, in der du deine Gedanken wirklich loslässt. Heißt das, dass es reicht, wenn wir ohne einen Meister einfach alleine Zazen machen? Nein, auf keinen Fall. Dogen Zenji sagt ja selbst im Anschluss an das obige Zitat aus dem Jisho-zanmai:

„Wenn du hörst, dass du dich selbst schmeckst und durch dich selbst zu dir selbst erwachst, dann schließt du vielleicht überstürzt, dass du für dich alleine lernen solltest, ohne den Weg von einem Meister gewiesen zu bekommen. Das ist ein großer Fehler. Zu glauben, wir könnten uns auch ohne einen Meister selbst befreien, ist eine fälschliche Meinungen, die auf die ‚Naturalismus‘-Philosophie Indiens zurückgeht.“

Wenn du ohne einen Meister für dich alleine übst, wirst du letztlich einfach nur das tun, was dir gerade in den Sinn kommt, aber das hat mit dem Buddhaweg nichts zu tun. Trotz allem ist es unerlässlich, zunächst einen guten Meister zu finden und ihm zu folgen.

Mehr von mir zum Thema:

(029) Lehrer gesucht... - aber was oder wer? https://youtu.be/HNMh4R-Fc5Q

(030) Lehrer gesucht... - reicht ein Buddha auf der Kommode? https://youtu.be/KfnZ3aEtRXY

(053) Verirrt auf dem spirituellen Heiratsmarkt? https://youtu.be/cAv8ue59jxw

(054) Checkpoint Nr.1: Ein Meister, der nicht auch Schüler ist, ist kein Meister! https://youtu.be/FQbimO7FJKo

(055) Soll ich ins Kloster gehen? https://youtu.be/opUKuFkn0KE

(087) Sich selbst akzeptieren oder das Leben ändern? https://youtu.be/GlO7cRyVpCo

(088) Das Leben im Kloster - für eine Auszeit eher ungeeignet? https://youtu.be/6B6M3X6FBzA

(089) Was ist mit denen, die im Kloster zermalmt werden? https://youtu.be/0HuF3ZLB3GE

(090) Missbrauch als strukturelles Problem im Kloster? https://youtu.be/VgQ9wkEYSOE

(091) Wer guckt hinter die Klostermauern? https://youtu.be/isdBufFwheI

(092) Ist Praxis außerhalb des Klosters überhaupt sinnvoll? https://youtu.be/kIaxSuUgdWU https://youtu.be/kIaxSuUgdWU

(093) Weiter mit dem Thema: "Wer ist verantwortlich für wen und was?" https://youtu.be/UvJL_RxWXTs

(094) Sumo, Baseball und Ole Nydahl... - bis der Postmann zweimal klingelt https://youtu.be/Mtjfhf4lSbE

(095) Wer darf die buddhistische Sittenpolizei spielen? https://youtu.be/xMgUwwab0tY

(096) Wo bleibt das ethische Subjekt im Buddhismus? https://youtu.be/dqPcrCuus7A

Mehr zum Aum-Kult bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/%C5%8Cmu_Shinriky%C5%8D

Auszug aus meinem Vorwort für Hitoshi Nagais "Penetre und ich":

Mitte der 1990er-Jahre, als Nagais Buch erschien, steckte Japan in einer tiefen Krise. Der Traum vom ewigen Wirtschaftswachstum und einem „japanischen Modell“ für das 21. Jahrhundert war geplatzt, ein Ende der Rezession nicht abzusehen. Zunehmend begannen die Jugendlichen, die Werte der Nachkriegsgeneration zu hinterfragen. Bislang waren Leistung, Disziplin und Fleiß stets wichtiger erschienen als Versuche, sich auf eher abstrakter Weise dem Sinn des Lebens zu nähern. Doch das begann sich nun zu ändern. Die Jugend stellte ihre eigenen Fragen: Was bedeutet Glück? Warum muss man zur Schule gehen? Welchen Sinn hat Arbeit? Muss man etwas tun, auch wenn es keinen Spaß macht? Warum bin ich überhaupt auf der Welt?

Im Frühjahr 1995 forderte ein Erdbeben in Kobe mehr als 6 000 Menschenleben. Nur kurze Zeit später kam es zu einem Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn. Das Nervengas Sarin tötete zwölf Menschen, mehrere Tausend wurden verletzt. Erste Gerüchte, rechtsextreme Gruppierungen oder gar die amerikanische CIA könnten hinter dem Anschlag stecken, bewahrheiteten sich nicht. Vielmehr hatten Angehörige des Aum-Shinrikyo, einer buddhistisch-hinduistisch inspirierten religiösen Gemeinschaft mit Hauptsitz unweit des Fuji-Berges über Jahre hinweg das Giftgas selbst produziert, den Anschlag akribisch geplant und schließlich ausgeführt. Viele Anhänger der Sekte, die auch heute noch unter dem Namen Aleph aktiv ist, hatten an den besten Universitäten des Landes studiert, waren Ärzte oder Anwälte gewesen, bevor sie sich dem Guru Shoko Asahara anschlossen. Der war, noch in den achtziger Jahren, zunächst als Yogi bekannt geworden. Auf einem Foto sieht man ihn meditieren – knapp zehn Zentimeter über dem Boden schwebend. Später ging Asahara auch nach Indien. Er schaffte es sogar, sich mit dem Dalai Lama ablichten zu lassen. „Du musst die Japaner den wahren Buddhismus lehren!“, soll ihm dieser der Legende nach geraten haben.  

Ich kann mich noch gut an die Asahara-Poster auf dem Gelände der Universität Kyoto erinnern, wo ich 1990 studiert habe. Als ich meinen japanischen Kommilitonen erzählte, dass ich nach Japan gekommen sei, um Zen-Mönch zu werden, bekam ich des Öfteren zu hören: „Zen? Wie altmodisch! Geh doch lieber zu den Aum-Leuten – da ist mehr dran als am traditionellen japanischen Buddhismus!“ Vielleicht habe ich einfach nur Glück gehabt, dass mich mein Weg nach Antaiji geführt hat, in ein Zen-Kloster, das der eher konservativen Soto-Schule angehört. Im dritten Jahr meiner Novizen-Ausbildung erreichte uns die Nachricht vom Giftgasanschlag in Tokio: „Was, die waren das!?“

Bei meinen Klosterbrüdern war die Überraschung groß. Geschichten von Ehemaligen, die vor Jahren das Kloster über Nacht verlassen hatten, um sich dem Asahara-Kult anzuschließen, machten die Runde. Vermutlich auch deshalb bekamen wir in den nächsten Monaten ab und zu Besuch von der Polizei. Sie wollte sich davon überzeugen, dass wir keinen der flüchtigen Täter bei uns im Kloster Unterschlupf gewährten. Doch über allem schwebte eine ganz andere Frage, die nicht nur die Mönche in Antaiji umtrieb: Trug nicht auch die japanische Gesellschaft und damit jeder, der in ihr lebte, einen Teil der Verantwortung für den schrecklichen Anschlag? Wäre es nicht die Aufgabe der Schulen, der Medien und vor allem der Religion gewesen, Antworten zu finden auf die Hilflosigkeit jener jungen Japaner, die nicht länger an das Märchen vom neuen Wirtschaftsaufschwung glauben konnten?

https://de.wikipedia.org/wiki/Mahamudra

https://de.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7ois-Albert_Viallet

https://buddhistische-sekten.de/

https://buddhistische-sekten.de/links.html

http://www.buddhistische-gesellschaft-berlin.de/index.html

https://der-asso-blog.blogspot.com/2017/06/buddhisten-und-sex-skandale.html...

https://www.buddhaland.de/forum/thread/13691-buddhismus-kritik-der-asso-blog/

https://unbuddhist.com/