Annehmen ist nicht Festhalten, Loslassen ist kein Verdrängen!

Q: Vielleicht hast Du schon mal von dem Begriff „Selbstoptimierungswahn“ gehört. Jungen Menschen westlicher Industriegesellschaften wie mir geht es materiell gut, wir haben viele Möglichkeiten und viel Auswahl in allem. Und in allem greifen wir nach den Sternen auf der Suche nach Selbstverwirklichung. Der Job, der/die Partnerin, die nächste Reise, die Hobbies - alles muss zu einem passen und so ausgefallen wie möglich sein. Trotzdem glaub ich, dass die meisten um mich herum unzufrieden sind, und auch ich bin keine Leuchtfackel der Zufriedenheit...  

Mein Redakteur: "Beim Lesen des Exposés habe ich mich gefragt, ob Sie auch eher soziologische Ansätze mit einbeziehen wollen? Mir kommen da etwa die Bücher von Alain Badiou, Luhmann oder, neuer, von Eva Illouz in den Sinn, die auf ganz unterschiedliche Weise sich auf die Gesellschaft beziehen, wenn sie von Liebesprechen – Illouz etwa bespricht ja die durch die Digitalisierung in die Welt gekommenen, sich ins Unendliche verlierenden Wahlmöglichkeiten, die das Festlegen (und Festhalten) auf einen Partner so erschweren. Dagegen könnte man die gelebte Liebe stellen, die festhält am Gefundenen, die bereit ist, auch Krisen zu überstehen, einfach indem sie den anderen sein lässt und ihn nicht nach einem Idealbild zu modellieren versucht..."  

Alain Badiou: Lob der Liebe

Niklas Luhmann: Liebe als Passion

Eva Illouz: Warum Liebe weh tut

Q1: Vielleicht hast Du schon mal von dem Begriff „Selbstoptimierungswahn“ gehört. Jungen Menschen westlicher Industriegesellschaften wie mir geht es materiell gut, wir haben viele Möglichkeiten und viel Auswahl in allem. Und in allem greifen wir nach den Sternen auf der Suche nach Selbstverwirklichung. Der Job, der/die Partnerin, die nächste Reise, die Hobbies - alles muss zu einem passen und so ausgefallen wie möglich sein. Trotzdem glaub ich, dass die meisten um mich herum unzufrieden sind, und auch ich bin keine Leuchtfackel der Zufriedenheit. Eigentlich könnte die Sache doch ganz einfach sein. Sich einfach aufs Kissen setzen, Schluss machen und sich von jedem Streben frei machen. Warum setzen sich die Menschen aber, gerade die jungen, nicht in Massen aufs Kissen, wenn sie doch alle Buddhanatur besitzen? Ist es nicht unfair, wenn der Weg nur einigen, die per Zufall und durch Veranlagung auf den Weg kamen überhaupt die Chance haben, mit ihrer Buddhanatur in Kontakt zu kommen? Und warum interessieren sich die einen mehr und die anderen weniger dafür, wenn in jedem ein Buddha schlummert?

Q2: Ich habe aktuell mit der schmerzlichen Seite vom Daten wieder Bekanntschaft gemacht. Ich würde gern weiter machen, sie jedoch nicht. Das letzte mal, dass ich in einer solchen Situation war ist mittlerweile ein paar Jahre her. Damals war es eine sehr unangenehme Erfahrung mit der ich über einen sehr langen Zeitraum zu knabbern hatte. Damals hatte ich zwar vereinzelte Erfahrung mit dem Meditieren gemacht, aber bei weitem keine regelmäßige Praxis. Nun bin ich leider wieder in einer solchen Situation, jedoch fühle ich mich generell in einer besseren Position in meinem Leben unter anderem sicherlich auch dadurch, dass ich nun täglich 1-2 sitze und dies mittlerweile ein fester Teil meiner Alltagsroutine geworden ist. Ich fühle mich traurig, jedoch nicht hilflos. Ich versuche die wiederkehrenden trauer-Gedanken bewusst gehen zu lassen und mir scheint es auch zu helfen. Jedoch frage ich mich dabei in wie fern ich die Trauerphase nicht einfach verdränge und so letzten Endes aufschiebe. Kurz gefasst, oder etwas provokant formuliert: In wie fern ist das loslassen von negativen Erfahrungen/Gedanken unterschiedlich zum verdrängen von eben diesen? Ist es nicht auf lange Sicht gefährlich manche Dinge zu früh loszulassen?

Es gibt einen einfachen Weg, zum Buddha zu werden!

Shōji (Leben und Tod)

Ist Buddha in Leben und Tod, dann gibt es kein Leben und Tod.

Auch heißt es: Ist kein Buddha in Leben und Tod, so gibt es kein Verirren in Leben und Tod.

Dies sind die Worte zweier Zenmeister mit Namen Jiashan (Kassan) und Dingshan (Jôzan).

Es sind die Worte von Männern, die den Weg beschritten haben, also sind sie keinesfalls leichthin daher gesagt.

Wer Leben und Tod entfliehen will, sollte keine Zeit verlieren dem hier Gesagten auf den Grund zu gehen.

Wenn einer nach Buddha außerhalb von Leben und Tod sucht, dann ist das so als richtete er die Lenkstange seines Karrens gegen Norden, um in das südliche Land von Etsu zu fahren, oder so als blickte er nach Süden, um den Polarstern zu finden. Mehr und mehr verstrickt er sich in das Karma von Leben und Tod und verliert dabei den Weg der Erlösung ganz und gar aus den Augen.

Verstehe nur ganz, dass Leben-und-Tod nichts anderes ist als Nirvana, verabscheue es nicht als Leben und Tod, sehne es nicht herbei als Nirvana. Erst dann wird es dir gelingen, dich von Leben und Tod zu lösen.

Zu glauben, dass Leben in Tod übergeht, ist ein Irrtum. Leben ist die Weise einer Zeit, es hat bereits ein Vorher und ein Nachher. Deshalb heißt es in der Buddhalehre, dass Leben (Geburt) Nicht-Leben (ungeboren) ist. Auch Vergehen hat als die Weise einer Zeit ein Vorher und Nachher. Deshalb heißt Vergehen unvergänglich. Wenn man Leben sagt, dann gibt es nichts außer dem Leben, wenn man Sterben sagt, dann gibt es nichts außer dem Sterben. Wenn daher Leben kommt, begegne ihm durch Leben, und wenn Tod kommt, begegne ihm durch Sterben. Verabscheue nicht, noch sehne dich danach.  (https://antaiji.org/de/classics/shoji/)

Genjōkōan (Vergegenwärtigung offenbarer Tiefe)

Wenn alle Dinge im Licht der Wahrheit erscheinen, dann gibt es Verirren, Erwachen und Übung, Leben und Tod, Buddhas und sonstige Lebewesen.

Wenn die zehntausend Dinge ohne Ich sind, dann gibt es weder Verirren noch Erwachen, weder Buddhas noch sonstige Lebewesen, weder Entstehen noch Vergehen.

Weil der Buddhaweg über Fülle und Mangel hinweg springt, gibt es Entstehen im Vergehen, Verirren im Erwachen, und alle lebendigen Buddhas.

Und dennoch: Die Blüten, die du liebst, welken dahin, und das Unkraut sprießt zu deinem Ärger – und das ist alles.

Dich selbst vorantragen um die zehntausend Dinge zu bezeugen ist Verirren. Dass die zehntausend Dinge fortschreiten und dich übend bezeugen ist Erwachen.

Wer zum Verirren erwacht: ein Buddha. Wer sich im Erwachen verirrt: ein gewöhnliches Wesen. Manche erwachen noch aus dem Erwachen. Andere verirren sich inmitten des Verirrens. ...

Wird eine Seite bezeugt, bleibt die andere dunkel.

Den Buddhaweg ergründen heißt dich selbst ergründen (Dem Buddhaweg folgen heißt dir selbst folgen/Den Buddhaweg gehen heißt selbst gehen).

Dich selbst ergründen (dir selbst folgen/selbst gehen) heißt dich selbst vergessen.

Dich selbst vergessen heißt von den zehntausend Dingen bezeugt werden.

Von den zehntausend Dingen bezeugt werden heißt Körper und Geist von dir selbst und den anderen fallen lassen.

Die Spuren deines Erwachens lösen sich auf, doch die aufgelösten Spuren des Erwachens führen endlos fort...

Brennholz wird zu Asche und kehrt nicht als Brennholz zurück. Betrachte es nicht als etwas, das vorher Brennholz und hinterher Asche wäre. Verstehe, dass Brennholz die Stelle von Brennholz einnimmt und ein Vorher und Nachher hat.

Es gibt dieses Vorher und Nachher, doch der Bereich von Vorher und Nachher ist abgetrennt.

Ebenso ist Asche in der Weise von Asche, vorher wie nachher.

So wie Brennholz nicht mehr zu Brennholz wird, nachdem es zu Asche verbrannt ist, so kehrt auch kein Mensch vom Tod ins Leben zurück.

Doch die Buddhalehre behauptet nicht, dass Leben zu Tod werde. Sie spricht vom Ungeborenen. „Tod wird nicht zu Leben“, so dreht der Buddha das Rad der Lehre. Er spricht vom Ungestorbenen.

Leben ist die Weise einer Zeit, so wie Tod die Weise einer Zeit ist. Es ist so wie mit Winter und Frühling: Man sagt nicht, dass der Winter zum Frühling werde, so wie auch der Frühling nicht zum Sommer wird.

(https://antaiji.org/de/classics/genjokoan/)

Dieses Leben-und-Sterben ist nichts Geringeres als das Leben Buddhas. Es in Abscheu fortwerfen zu wollen heißt nichts anderes als das Leben Buddhas einzubüßen. In Leben-und-Tod zu verharren und daran festzuhalten bedeutet ebenfalls das Leben Buddhas zu verlieren, die Wirksamkeit (Tätigkeit) Buddhas zum Stillstand (Erliegen) zu bringen.

Erst wenn du ohne Abscheu und ohne Sehnsucht bist, wirst du in Buddhas Geist sein. Doch wäge es nicht mit dem Geist ab, sprich es nicht in Worten aus.

(https://antaiji.org/de/classics/shoji/)

Vergiss einfach den eigenen Leib und Geist, lass sie fahren und wirf dich in Buddhas Haus hinein. Von Buddhas Seite aus getragen (geführt/bewegt/geleitet) wirst du, indem du nur folgst – ganz ohne Kraftanstrengung und Geistesbemühung – frei von Leben-und-Sterben selbst Buddha. Warum sollte jemand im Geist verharren?

Es gibt einen einfachen Weg, Buddha zu werden: Tue nichts Schlechtes, halte nicht an Leben-und-Tod fest, habe tiefes Mitgefühl mit allem Lebenden, respektiere die über dir und nimm dich der unter dir an, hege gegen nichts Abscheu, berge keine Wünsche in deinem Herz, trage dich nicht mit Gedanken und mache dir keine Sorgen. Das nennt man einen Buddha. Suche nach nichts anderem.

(https://antaiji.org/de/classics/shoji/)

Du bist das Korn, aus dem Nirvana keimt!

Ist Buddha in Leben und Tod, dann gibt es kein Leben und Tod.

Auch heißt es: Ist kein Buddha in Leben und Tod, so gibt es kein Verirren in Leben und Tod.

Dies sind die Worte zweier Zenmeister mit Namen Jiashan (Kassan) und Dingshan (Jôzan). Es sind die Worte von Männern, die den Weg beschritten haben, also sind sie keinesfalls leichthin dahergesagt. Wer Leben und Tod entfliehen will, sollte keine Zeit verlieren dem hier Gesagten auf den Grund zu gehen.

Wenn einer nach Buddha außerhalb von Leben und Tod sucht, dann ist das so als richtete er die Lenkstange seines Karrens gegen Norden, um in das südliche Land von Etsu zu fahren, oder so als blickte er nach Süden, um den Polarstern zu finden.

Mehr und mehr verstrickt er sich in das Karma von Leben und Tod und verliert dabei den Weg der Erlösung ganz und gar aus den Augen.

Verstehe nur ganz, dass Leben-und-Tod nichts anderes ist als Nirvana, verabscheue es nicht als Leben und Tod, sehne es nicht herbei als Nirvana. Erst dann wird es dir gelingenen, dich von Leben und Tod zu lösen.

Zu glauben, dass Leben in Tod übergeht, ist ein Irrtum. Leben ist die Weise einer Zeit, es hat bereits ein Vorher und ein Nachher. Deshalb heißt es in der Buddhalehre, dass Leben (Geburt) Nicht-Leben (ungeboren) ist. Auch Vergehen hat als die Weise einer Zeit ein Vorher und Nachher. Deshalb heißt Vergehen unvergänglich. Wenn man Leben sagt, dann gibt es nichts außer dem Leben, wenn man Sterben sagt, dann gibt es nichts außer dem Sterben. Wenn daher Leben kommt, begegne ihm durch Leben, und wenn Tod kommt, begegne ihm durch Sterben. Verabscheue nicht, noch sehne dich danach.

Genjōkōan (Vergegenwärtigung offenbarer Tiefe)

Wenn alle Dinge im Licht der Wahrheit erscheinen, dann gibt es Verirren, Erwachen und Übung, Leben und Tod, Buddhas und sonstige Lebewesen. Wenn die zehntausend Dinge ohne Ich sind, dann gibt es weder Verirren noch Erwachen, weder Buddhas noch sonstige Lebewesen, weder Entstehen noch Vergehen. Weil der Buddhaweg über Fülle und Mangel hinweg springt, gibt es Entstehen im Vergehen, Verirren im Erwachen, und alle lebendigen Buddhas. Und dennoch: Die Blüten, die du liebst, welken dahin, und das Unkraut sprießt zu deinem Ärger – und das ist alles ...

Brennholz wird zu Asche und kehrt nicht als Brennholz zurück. Betrachte es nicht als etwas, das vorher Brennholz und hinterher Asche wäre. Verstehe, dass Brennholz die Stelle von Brennholz einnimmt und ein Vorher und Nachher hat. Es gibt dieses Vorher und Nachher, doch der Bereich von Vorher und Nachher ist abgetrennt.

Ebenso ist Asche in der Weise von Asche, vorher wie nachher. So wie Brennholz nicht mehr zu Brennholz wird, nachdem es zu Asche verbrannt ist, so kehrt auch kein Mensch vom Tod ins Leben zurück.

Doch die Buddhalehre behauptet nicht, dass Leben zu Tod werde. Sie spricht vom Ungeborenen. „Tod wird nicht zu Leben“, so dreht der Buddha das Rad der Lehre. Er spricht vom Ungestorbenen. Leben ist die Weise einer Zeit, so wie Tod die Weise einer Zeit ist.

Es ist so wie mit Winter und Frühling: Man sagt nicht, dass der Winter zum Frühling werde, so wie auch der Frühling nicht zum Sommer wird. 

Shoji: Mit oder ohne Buddha durch Leben und Tod?

Link zu meiner deutschen Übersetzung des Kapitels "Leben und Tod (jap. Shoji)" von Dogen (1200-1253): https://antaiji.org/de/classics/shoji/

Mehr Informationen und Gedanken zum Shushogi-Sutra auf Englisch gibt es beispielsweise hier:

https://partycentral.home.blog/2020/06/17/the-shushogi-the-forgotten-zen-text/

https://terebess.hu/zen/dogen/shushogi.html