Verdammt, mein Geist will einfach nicht zur Ruhe kommen!

Aus "Futter fuer Pferd und Esel":

 

"Den Begriff Hishiryô habe ich im Fukanzazengi frei als „Lass den Gedanken los!“ übersetzt. Eine wörtlichere Variante ist: „Undenken“

 

Ein Mönch fragt Großmeister Yakuzan Kudô  nach dem Sitzen: „Was für ein Denken wirkt am Ort der Unbewegtheit?“

Der Meister antwortet: „Denken auf dem Grund des Nichtdenkens.“

Der Mönch fragt: „Was für ein Denken wirkt auf dem Grund des Nichtdenkens?“

Der Meister antwortet: „Undenken“.

Bezeuge die Worte des Meisters durch das Ergründen und die richtige Übernahme des unbeweglichen Sitzens. Das bedeutet Vertiefung in unbewegliches Sitzen, so wie sie im Buddhaweg weitergegeben wird. Nicht nur ein einziger hat über den Ort der Unbewegtheit nachgedacht, doch Yakuzans Worte stehen an erster Stelle. Er sagt: „Denken auf dem Grund des Nichtdenkens.“ Das sind Haut, Fleisch, Knochen und Mark des Denkens und auch des Nichtdenkens.

 

Was für ein Denken wirkt am Ort der Unbewegtheit? Undenken.

Doch jeder denkt, auch wenn er sich die beste Mühe gibt, nicht zu denken. Selbst auf dem „Grund des Nichtdenkens“ entstehen Gedanken. Oft ist es sogar so, dass umso mehr Gedanken in unserem Kopf herumschwirren, je angestrengter wir versuchen, sie zu unterdrücken. Woher kommt es, dass wir ausgerechnet beim Zazen all diese störenden Gedanken haben?

Als Sawaki einmal gefragt wurde, ob es an der falschen Praxis liegt, wenn einem beim Zazen Gedanken durch den Kopf gehen, antwortete er: „Unfug! Wenn du Zazen machst, wirst du dir der Gedanken erst bewusst. Merkst du denn nichts, wenn dich während Zazen eine Mücke sticht? Du merkst dagegen nichts, wenn dich beim Tanzen ein Floh am Hoden zwickt, so beschäftigt bist du mit deinem Tanzen. Dass wir uns der störenden Gedanken überhaupt bewusst werden können, liegt daran, dass sich beim Zazen die Wellen der Gefühle beruhigen und der Blutandrang zum Kopf abnimmt.“

Wer ist das eigentlich, der da auf dem Grund des Nichtdenkens denkt? René Descartes glaubte, eine hieb- und stichfeste Antwort gefunden zu haben: „Ich denke, also bin ich.“ Aber hatte er damit Recht? Ist es nicht eher so, wie dieser Kinderreim behauptet?

„Wenn du denkst, du denkst, denkst du nur, du denkst, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken.“

 

Der Mönch fragt: „Was-Für-Ein-Denken wirkt auf dem Grund des Nichtdenkens.“

Tatsächlich – der Grund des Nichtdenkens, von dem von alters her gesprochen wird, ist nichts anderes als das Wirken von „Was für ein Denken wirkt am Ort der Unbewegtheit?“. Ist da nicht Denken am Ort der Unbewegtheit? Und wie könnte das Voranschreiten durch den Ort der Unbewegtheit je misslingen? Wer nicht zu den Narren dieser Tage gehört, muss über die Kraft verfügen, den unbeweglichen Zustand zu hinterfragen, ihn zu durchdenken.

Der Großmeister sagt: „Undenken“.

Wenn das Undenken ausgeübt wird, strahlt es in heller Klarheit. Wir verwenden es stets, wenn wir auf dem Grund des Nichtdenkens denken.

 

Hier werden wir Zeuge von Dôgens spielerischer wie schonungsloser Methode, jeden einzelnen Satz und jedes einzelne Wort auseinander zu nehmen, umzuwenden und es von jeder seiner Seiten zu betrachten. So wird aus einer harmlosen Frage eine überraschende Erkenntnis: „Was-Für-Ein-Denken?“ – die Frage selbst wirkt am Ort der Unbewegtheit! Undenken steckt in der Frage nach dem Denken. Erlauben Sie mir, eine weitere Frage zu stellen: Wenn Sie Zazen praktizieren, wer praktiziert da? Solange Ihre Antwort „Ich“ lautet, ist es kein Zazen.

 

Im Undenken ist ein Wer, ein Wer, der mich trägt. Der Ort der Unbewegtheit ist nicht von mir getrennt – auch wenn da Gedanken sind, verkörpert sich in ihnen doch der Ort der Unbewegtheit selbst. Wenn der Ort der Unbewegtheit unbewegt wäre, wie könnten an ihm Gedanken entstehen? Der Ort der Unbewegtheit lässt sich selbst mit dem Maß der Buddhas und der Lehre nicht vermessen, er ist weder mit Erwachen noch mit Verstehen abzuwägen.

Yakuzan, der auf diese Weise die reine Überlieferung vertritt, ist der 36. Patriarch in gerader Linie nach Shakyamuni Buddha. Wenn wir von Yakuzan aus in der Zeit zurückgehen, dann finden wir Shakyamuni Buddha an 36. Stelle. Was hier wahrhaft überliefert wird, ist eben dieses Denken auf dem Grund des Nichtdenkens.

 

Wo liegt „der Ort der Unbewegtheit“? Wo „der Grund des Nichtdenkens“? Sie wissen es bereits: hier, an diesem Ort. Aufgepasst!Es reicht nicht, das intellektuell verstanden zu haben. Sie müssen diesen Ort immer wieder von Neuem, direkt unter ihren Füßen entdecken. Öffnen Sie die Augen für das Wunder, das Sie Augenblick für Augenblick erleben: Ich bin! Ein Wunder, weil da gar kein „Ich“ ist. Und trotzdem: Die Sonne scheint warm, die Vögel singen, der Atem kommt und geht. Oder es regnet, auf der Straße streitet sich jemand, und … der Atem kommt und geht. Wer atmet da? Und wer erlebt den Atem? Wer verkörpert sich in diesem Wirken? Dôgen lässt die Frage offen. Er sagt nur: Da ist ein Wer, ein Wer, der mich trägt. Ein Wer, der sitzt. Ein Wer, der gedankenlose Gedanken denkt."