Gedanken beim Zazen - ein Misserfolg?

Frage: "Ist eine Meditationssitzung misslungen, wenn es nicht gelingt, dass das Denken verstummt bzw. still hält?"

 

Zitat aus Dogen's Fukanzazengi:

"Ist der Körper auf diese Weise eingestimmt, dann atme einmal tief durch den Mund aus. Schwinge deinen Oberkörper erst nach links und rechts. Dann sitze reglos wie ein mächtiger Berg in Konzentration und denke auf dem Grund des Nicht-Denkens. Wie denkt man auf dem Grund des Nicht-Denkens? Lass den Gedanken los! Dies macht die Kunst des Zazen aus."

 

Mein Kommentar in "Futter für Pferd und Esel":

"Dôgen ging ins Detail, als er die Sitzhaltung erklärte. Selbst die Stellung der Zunge im Mund blieb nicht unerwähnt. Sparsamer mit den Worten ist er dagegen, wenn es darum geht, was wir mit unserem Geist tun sollen: „Lass den Gedanken los!“ Doch das ist einfacher gesagt als getan.

Interessant ist, dass Dôgen in einer älteren Version desselben Textes noch eine andere, etwas ausführlichere Formulierung wählt. Dort heißt es an dieser Stelle: „Wenn ein Gedanke aufkommt, werde seiner bewusst. Nachdem du dir des Gedankens bewusst geworden bist, lasse ihn los. Wenn du diese Praxis für eine lange Zeit fortsetzt, wirst du ganz von selbst eins werden.“

Heutzutage ist Benutzerfreundlichkeit ein großes Thema. Kaum ein Meditierender wird bestreiten, dass Dôgens frühere Formulierung sehr viel konkreter ist, als das spätere „Lass den Gedanken los!“ Wenn ein Gedanke auftaucht, werde dir zunächst einmal des Gedankens bewusst. Im Anschluss lass ihn los. Dann wirst du dir des nächsten Gedankens bewusst. Und lässt auch den los. Und so weiter … Auch diese Praxis ist nicht so einfach wie sie klingt, aber man kann immerhin etwas damit anfangen. Und dennoch hat sich Dôgen dafür entschieden, diese Formulierung zu streichen. Warum?

Während des Sitzens fühlen wir uns oft wie ein Schäfer, der versucht, eine Herde ungezogener Schafe unter Kontrolle zu bringen: Er versucht die schwarzen Schafe von den weißen zu trennen, er will sie nummerieren und kategorisieren, am liebsten hätte er sie alle zurück im Stall. Doch die Schafe in unserem Geist rennen in alle Richtungen, sie springen über die sorgsam aufgerichteten Zäune, sie fressen von den Blumen hier und dem Gemüse dort. Je mehr wir uns mit den Schafen abgeben, desto mehr Spaß scheint es ihnen zu machen, uns einen Streich zu spielen. Dabei merken wir nicht, dass das eigentliche Problem nicht die Schafe sind, sondern der Schäfer in unserem Geist, der sich als der Herr über die Herde aufspielt. Die Lösung: Wir müssen den Schäfer in den Urlaub schicken! Hishiryô, der japanische Begriff, den ich hier frei als „Lass den Gedanken los!“ übersetzt habe, bezeichnet einen Geisteszustand, in dem sich der Schäfer selbst vergisst . Früher oder später haben sich die Schafe satt gegessen und kehren von selbst in den Stall zurück. Aber das gelingt nur, wenn unser Körper wirklich „wie ein mächtiger Berg“ sitzt. Denn nur so wird er auch unserem Geist die Stabilität verleihen, die es ihm erlaubt, zur Weide und zum Himmel für die Schafe zu werden, ohne selbst als eines der Schafe herumzuirren. Im Zazen geht es weder darum, die Schafe einzuzäunen, noch mit ihnen zu spielen. Erst wenn der Schäfer sich selbst vergisst, wird er eins mit der Weide, auf der die Schafe grasen, und eins mit dem Himmel, der sich schützend über die Herde spannt.

Wenn wir während Zazen versuchen, uns ständig der Gedanken bewusst zu werden, nur um sie anschließend loslassen zu können, dann benehmen wir uns so wie ein Kaufhausdetektiv, der ständig nervös auf die Monitore vor ihm blickt und sich fragt: „Wo verbirgt sich der Dieb? Hat er sich in einem toten Winkel der Sicherheitskameras versteckt?“

Nur eines scheint dieser Detektiv nicht zu merken: das Kaufhaus hat weder Ein- noch Ausgang und es gibt auch keine Fenster, durch die ein Dieb einsteigen könnte. So verbringt er tagein tagaus auf der Suche nach dem Dieb und übersieht eins: sich selbst. Der Detektiv bemerkt nicht, dass er selbst das eigentliche Problem im Kaufhaus ist.

Einfach loslassen und sitzen. Dieser Zustand wird im Zen auch so ausgedrückt: Zazen ist wie ein Dieb, der in ein leeres Haus einbricht – dort gibt es nichts zu stehlen, keinen Ort, sich zu verstecken, und niemand, vor dem man davon laufen müsste. Kein Grund also, Katz und Maus mit dem Detektiv zu spielen."