"Ich liebe Dich!" - meinst du das wirklich?

Ich will ja mein Publikum nicht beleidigen, aber...

...es gibt keine schlechten Videos, es gibt nur schlechte Kommentare!

Frage: "Hallo Muho, Ich würde mich sehr über ein paar Videos zum Thema Liebe (Partnerschaft, Kinder, Familie und Hobby’s/ Leidenschaft) freuen. Ich möchte dieses Thema eigentlich auch nicht weiter eingrenzen, ich würde mich über deine Gedanken zum Thema freuen, da ich deine Ansichten sehr schätze."

Auszug aus "Das Meer weist keinen Fluss zurück": "Noch im Tod wollen die Liebenden vereint sein. „Wir sind eins!“, dieses Gefühl heilt die Wunde der Trennung des Menschen von der Welt. Aber bloß, solange es anhält. Denn auf Dauer kann es nur schiefgehen. Zwei Liebende, die sich und nur sich allein in ihrer Einzigartigkeit bestätigt wissen wollen, vergessen, dass jeder Mensch einzigartig ist. Doch genau gegen diesen Punkt wehrt sich die erotische Liebe: Wir beide, du und ich, sind anders als all die anderen! Es ist, als würden der 13. April und der 5. Dezember über den Abgrund der Monate einander zurufen: „Du bist der einzige Tag für mich, denn du bist so ganz anders als die übrigen 364 Tage des Jahres!“ Das stimmt ja auch. Natürlich ist jeder Tag des Jahres einzigartig. Jedoch nicht, weil sich jeder Tag vom anderen ein wenig unterscheidet. Das wirklich Besondere an diesem Tag besteht in seiner Gegenwart. Er ist der einzige Tag, an dem ich leben kann. Denn er ist heute und nichts als heute. Alle anderen Tage sind vergangen oder liegen in der Zukunft und werden erst noch „heute“ sein. Die Gegenwart findet aber immer genau jetzt statt. Bezogen auf den Menschen als Individuum heißt das: Wer seine eigene Gegenwart versäumt und nicht im Hier und Jetzt lebt, wer nicht eins ist mit sich selbst, der kann nicht lieben. Bang wird er stets auf die Liebeserklärung des anderen warten. „Ich liebe dich, liebst du mich auch?“ – Diese Frage enthält schon die Angst vor der Ablehnung. Selbst wenn sich zwei Menschen wechselseitig ihre Liebe beteuern, bleibt die Unsicherheit. Nie kann man sicher sein, so geliebt zu werden, wie man selbst liebt. Von dieser Angst gilt es sich zu befreien. Es kommt nicht darauf an, wer stärker, intensiver oder leidenschaftlicher liebt. Das Ideal wäre ein Verschenken der Liebe, ohne danach zu fragen, was man selbst dafür zurückbekommt. Doch das schafft nur, wer wirklich eins ist mit sich. Nur bei ihm findet der Satz „Ich liebe dich von ganzem Herzen!“ zur wahren Bedeutung."

Auszug aus "Das Meer weist keinen Fluss zurück":

Das Rufen der Affen

Die Stimme des Tals

Tag und Nacht höre ich

Buddhas Botschaft

 

Schnee auf der Flur

Kein Grashalm zu sehen

Ein Reiher verbirgt sich

In seiner eig’nen Gestalt

(Dōgen)

 

Storge bezeichnet das Gefühl, willkommen in der Welt zu sein. Storge ist die erste und scheinbar trivialste Form der Liebe. Man könnte sie „biologische Liebe“ nennen, denn sie scheint zur genetischen Ausstattung des Menschen zu gehören. Ein Kind verspürt Storge auf dem Schoß der Mutter, und der Mutter geht es nicht anders, wenn sie ihr Kind im Arm hält. Jedes Kind ist fest davon überzeugt, dass die eigene Mutter die Beste ist. Warum eigentlich? Die Auswahl ist doch so groß. Es gibt Milliarden von Frauen auf dieser Welt, von denen ganz sicher viele hübscher sind, leckerere Sachen kochen oder mehr Erziehungsratgeber gelesen haben als gerade jene Frau, an deren Hand das Kind vergnügt die Straße entlanggeht. Trotzdem müsste man wohl sehr lange suchen, um ein Kind zu finden, das sagt: „An erster Stelle kommt für mich Frau Merkel! Und dann Lady Gaga! Und Mama kommt an dritter Stelle!“ Wenn ein Kind bei seiner leiblichen Mutter aufwächst, ist die Chance groß, dass es seine Mutter ein Leben lang lieben wird. Und ein während der ersten Jahre adoptiertes Kind wird seine Ziehmutter lieben, selbst wenn es später seiner leiblichen Mutter begegnen sollte. Storge knüpft ein starkes Band. Der Biologe Konrad Lorenz hat gezeigt, dass das selbst bei Enten nicht anders ist. Warum liebt eine Mutter ihr Neugeborenes mehr als alle anderen Kinder? Die Auswahl ist doch so groß. Es gibt doch Millionen von anderen Babys, von denen ganz sicher viele süßer und aufgeweckter, möglicherweise auch gesünder sind als das eine, das sie auf die Welt gebracht hat. 70 368 744 177 664 Kombinationen ließen sich aus den Chromosomensätzen der Eltern herstellen. Darunter wäre sicher auch die eine, die optimale, die für ein Leben mit den besten Startbedingungen sorgen würde. Würde deshalb eine Frau das Angebot eines Gentechnologen annehmen, ihr Baby gegen ein solcherart „perfektes“ Wesen auszutauschen? Wohl kaum. Als Grund für die Ablehnung würde ihr ein Satz genügen: „Das ist doch mein Kind!“ Die Dinge verkomplizieren sich, hat eine Frau mehrere Kinder zur Welt gebracht. Ich spreche nicht von einer Entscheidung auf Leben oder Tod, wie sie Meryl Streep im Film Sophies Entscheidung treffen muss, weil sie von einem KZ-Aufseher dazu gezwungen wird, eine Wahl zwischen ihrem Sohn und ihrer Tochter zu treffen – nur um am Ende beide Kinder zu verlieren. Nein, selbst wenn ein Kind einfach nur wissen will, welches von den Geschwistern der Liebling der Mama ist, kann das die Mutter vor ein großes Dilemma stellen. Es gibt die Geschichte von der japanischen Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann zwölf Kinder großgezogen hat. Fast jeden Monat gab es einen Geburtstag zu feiern, und dafür hatten sich die Eltern etwas Besonderes ausgedacht. Das Geburtstagskind durfte wählen, ob es am Festtag entweder mit dem Vater oder mit der Mutter in ein Restaurant gehen wollte. Alleine sein mit einem Elternteil, das war in einer so großen Familie übers Jahr kaum möglich. Aber hinter der Idee steckte auch noch ein eher prosaischer Grund: Essen zu gehen mit der ganzen Familie, dafür reichte das Geld nicht. Bei solch einem Geburtstagsausflug nutzte nun eines der Kinder die Gelegenheit, endlich einmal unter vier Augen mit der Mutter zu sein. Es nahm sich ein Herz und fragte sie: „Welches von uns zwölf Kindern hast du eigentlich am liebsten, Mama?“ Darauf antwortete die Mutter: „Weißt du das denn nicht? Ich habe dich am liebsten! Aber das ist ein Geheimnis, das du in keinem Fall den anderen verraten darfst.“ Jahrzehnte später starb die Mutter, und die zwölf, inzwischen längst erwachsenen Geschwister kamen zusammen, um Abschied von ihr zu nehmen. Sie weinten und lachten und riefen besonders schöne Erinnerungen herauf. Dann holte eine der Töchter tief Luft und erzählte das Geheimnis, das ihr die Mutter anvertraut hatte. „Was?“, riefen alle anderen, „dir hat sie das auch gesagt?“

Auszug aus "Das Meer weist keinen Fluss zurück":

Was haben James Bond, Luke Skywalker und Harry Potter gemeinsam? Richtig, es sind moderne Helden, die jeder aus dem Kino oder aus Büchern kennt. Aber noch etwas verbindet sie: Sie haben alle drei früh ihre Eltern verloren. Keine Mutter hat dem Spion im Dienst ihrer Majestät je Plätzchen zu Weihnachten geschickt. Ein ähnliches Schicksal traf Superman, Batman und Spider-Man. Und Hänsel und Gretel schlugen sich alleine durch den dunklen Wald, weil die Eltern sich in ihrer Not nicht anders zu helfen wussten, als ihre Kinder auszusetzen. Kinder ohne Eltern. Kinder, verlassen und allein auf weiter Flur. Mir scheint, dass selbst Jesus in dieses Schema passt. Man kann davon ausgehen, dass seine Kindheit geprägt war von der Frage: Wer ist mein wirklicher Vater? Sein Verhältnis zur Mutter gibt ebenfalls Rätsel auf. Während der Hochzeit zu Kana, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt, will er von Maria wissen: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ Ich denke, das zeigt Jesus‘ Suche nach einem Daseinsgrund. Er stellt die Fragen, die uns allen wohl schon mal den Schlaf geraubt haben: Wer bin ich? Und warum bin ich hier? Die er für seine Eltern hielt, Maria und Josef, vermochten ihm darauf keine Antwort zu geben. Später ruft Jesus am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Den Theologen haben diese Worte viele Schwierigkeiten bereitet. Warum soll sich Jesus am Kreuz von Gott, seinem Vater, verlassen fühlen? Geschah es nicht aus freien Stücken, dass er das Kreuz auf sich nahm? Hat er sich nicht dem Willen des Vaters vollkommen überlassen? Und überhaupt: War Jesus nicht selbst Gott? Zahlreich und voller hermeneutischer Finesse sind die Antworten, die die Kirche über die Jahrhunderte auf diese Fragen gefunden hat. Unbezweifelbar blieb dabei nur eines: Mit Jesus am Kreuz spricht ein Mensch, der sich von der Welt verlassen fühlt, der ganz allein ist in seinem Leid. Warum üben gerade die elternlosen oder verlassenen Kinder und jungen Erwachsenen eine so große Faszination auf uns aus, wenn wir ihnen in Filmen oder in der Literatur begegnen? Weil wir uns alle mit ihnen identifizieren können. Auch wenn wir unsere Eltern noch haben, ändert das nichts daran, dass wir uns in so mancher Stunde vom Leben selbst stiefmütterlich behandelt fühlen. Jeder von uns wird allein in diese Welt geboren, und jeder von uns ist allein, wenn er stirbt. Man kann sogar sagen, dass jeder mit seiner eigenen Welt geboren wird, und wenn er stirbt, stirbt diese Welt mit ihm. Auch während der siebzig, achtzig Jahre, die jemand in seiner Welt lebt, ist er allein. Es gibt nur einen Menschen, durch dessen Augen er die Welt sieht, nur einen, mit dessen Ohren er hört, und auch nur einen, dessen Gedanken und Gefühle er wirklich versteht; das ist er selbst. Zu dem, was Außenwelt heißt und was er mit seinen Mitmenschen teilt, scheint er nur indirekten Zugang zu haben, und die Innenwelt der anderen bleibt ihm sogar oft ganz verschlossen. Oder gilt das etwa nur für mich? Keiner will sein Leben lang allein sein in der Welt. Wir sehnen uns nach Nähe, Wärme, Zärtlichkeit, Mitgefühl. Wir wünschen uns, andere Menschen verstehen zu können und von ihnen verstanden zu werden. Wir wollen lieben und geliebt werden, nicht morgen oder übermorgen, sondern jetzt. An was für eine Liebe denken wir dabei? An unbedingte, vorbehaltlose Liebe, die uns Teil eines größeren Ganzen werden lässt; an Liebe, die uns so akzeptiert, wie wir sind, und uns gleichzeitig Raum lässt zu wachsen. Liebe, die an unsere Möglichkeiten glaubt und sie fördert... Die Geborgenheit, die ein Kind bei der Mutter erfährt. Das Aufatmen bei der Rückkehr in die seit der Kindheit vertraute Natur. Die Verbundenheit mit der eigenen Sprache. All das sind Aspekte von Storge. Viele Menschen werden aber beim Stichwort „Liebe“ spontan an etwas ganz anderes denken: an das so schwer zu beschreibende, Kopf und Herz und Bauch erfassende und in Besitz nehmende Gefühl, das ein Dichter einmal „Himmelsmacht“ genannt hat. Von Geborgenheit kann bei dieser Form der Liebe erst einmal keine Rede sein. Im Gegenteil. Wer sich verliebt hat, dessen Sehnsucht wird so stark, dass es ihn aus dem Haus und auf die Straße treibt, nur hin zum Zentrum der Sehnsucht, so schnell wie möglich und voller Aufregung. Man weiß, dass man in den Armen des anderen das höchste Glück finden wird. Man will mit ihm eins sein, und zwar eins im Herzen und mit dem Körper. Diese Liebe hat also auch eine immense körperliche Komponente. Die Griechen nannten sie Eros.

Auszug aus "Das Meer weist keinen Fluss zurück":

Liebe besteht nicht darin, dass man einander anschaut, sondern dass man gemeinsam in dieselbe Richtung blickt. (Antoine de Saint-Exupéry)

Ein Beispiel für Philia ist die Liebe, wie sie sich in einer langen Partnerschaft entwickelt, wenn man zusammen durch gute wie böse Zeiten gegangen ist und längst schon, wie Saint-Exupéry sagt, „gemeinsam in dieselbe Richtung blickt“. Auch die Beziehung zwischen Meister und Schüler wird oft von Philia getragen. Wer möchte, kann dabei etwa an die Liebe zwischen Jesus und seinen Jüngern denken. Oder, und da spreche ich aus eigener Anschauung, an den Alltag in einem Zenkloster... In einem Zenkloster gibt es keine Meisterschaft zu gewinnen, keine Gegner, die besiegt werden müssten. Doch auch in einer Mönchsgemeinschaft müssen alle an einem Strang ziehen, und dem Abt obliegt es wie dem Trainer im Fußball, jeden Einzelnen aus der Gemeinschaft dazu zu bringen, stets alles von sich zu geben, ohne dass darunter die Harmonie innerhalb der Gruppe leidet. „Du erschaffst Antaiji!“ Das waren die ersten Worte, die ich von meinem damaligen Abt zu hören bekam. Ich war zweiundzwanzig und hatte keine Ahnung von der Praxis des Zen. Wie sollte gerade ich, zudem noch als einziger Nicht-Japaner im Kloster, Antaiji erschaffen können? Erst später verstand ich, was der Abt wirklich gemeint hatte: Antaiji war und ist der Ort, zu dem ich ihn mache, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich die Augen und Ohren öffne, werde ich dort mich und die Welt entdecken können. Wenn ich dagegen die Zeit meines Lebens verschwenden will, ist auch das in Antaiji möglich. Es liegt nur an mir. Ein paar Jahre darauf hatte ich an einem anderen, scheinbar vollkommen konträren Lehrsatz meines Meisters zu knabbern. „Auf dich kommt es hier nicht an!“, hatte er zu mir gesagt. Aber sollte ich nicht Antaiji erschaffen? Wie passte das eine zum anderen? Bei näherem Nachdenken löste sich der vermeintliche Gegensatz in Wohlgefallen auf. Beides gehörte zusammen, die Verantwortung für die eigene Praxis und das Absehen vom Ich. Antaiji zu erschaffen bedeutet nämlich nicht, dass jeder alles so machen kann, wie er es für richtig hält. Heute bin ich der Abt. Wenn ich meine Schüler unterweise, variiere ich den Satz meines Meisters und sage: „Ihr müsst als Erstes Antaiji entdecken!“ Jeder Neuling muss sich zunächst einmal mit den Gegebenheiten und den Regeln vertraut haben, ehe er ans Erschaffen „seines“ Klosters denken kann. Dazu braucht er dann die ganze Gemeinschaft, die mit ihm dafür sorgt, dass die Praxis gelingt. Manche meiner Schüler sind sehr beflissen, höflich und strebsam. Sie ecken nie an und stören nie den Klosterfrieden, entwickeln aber keine Eigeninitiative. Sie überlassen es anderen, Antaiji zu erschaffen. Und dann gibt es welche, die voller Ideen stecken und sie auch voller Selbstbewusstsein verwirklichen wollen. Immer streben sie danach, zu den Besten zu gehören. Nur vergessen sie dabei leider allzu oft, dass ihnen das Kloster nicht allein gehört. Von niemandem wollen sie sich etwas sagen lassen. Können sie sich einmal nicht durchsetzen, bedeutet das für sie eine große Kränkung. Dann kommt es vor, dass sie Antaiji Knall auf Fall verlassen. Antaiji soll jedem einzelnen Bewohner so viel Raum geben, wie der Himmel den Vögeln gibt. Wie eine Schar von Zugvögeln mit gemeinsamem Ziel muss die Gemeinschaft sein, wie ein Dahinfliegen in zwangloser Formation bei feststehender Richtung. Und eben weil die Richtung feststeht, kann das zu einer Intoleranz gegenüber Abweichungen führen, die typisch für Philia ist. Tanzt einer aus der Reihe, kann das die ganze Gruppe gefährden. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass es sowohl im Christentum als auch im Buddhismus seit uralten Zeiten den Brauch der Exkommunizierung gibt. Obwohl sich beide Religionen die Errettung aller Wesen zum Ziel gesetzt haben, verlangen sie von ihren Anhängern absolute Hingabe an dieses und nur dieses Ziel. Wer nicht folgen kann oder will, verliert seinen Platz in der Gemeinschaft. Beschwere ich mich als Meister über meine Schüler, bin ich jedoch nicht besser als der Fußballtrainer, der seine Mannschaft an den Pranger stellt; oder der Koch, der dem Gemüse die Schuld am ungenießbaren Essen gibt. Um es ganz klar zu sagen: Wenn mit der Praxis in Antaiji etwas im Argen liegt, trägt nur einer die Verantwortung dafür, und das bin ich, der Abt des Klosters. Gleichzeitig ist aber auch der Schüler für den Meister verantwortlich. Warum? Weil er in ihm immer nur das erkennt, was er selbst auch erkennen will. Es ist ein wechselseitiger Prozess. Der Meister bekommt immer genau den Schüler, zu dem er ihn macht, und der Schüler immer genau den Meister, den er in ihm sehen will.