Ist Zazen Luxus?

Q1: lieber muho, wie zazen unter die leute bringen? viele sind an zen und zazen interessiert, in unserem dojo machen wir die erfahrung dass viele zur einführung kommen und davon sehr wenige bleiben, vielleicht jeder 100ste. andere dojos in deutschland machen glaub ich dieselbe erfahrung. warum verkauft sich ein so geniales produkt so schlecht? warum hast du 8310 abbonentinnen und sagen wir mal "calle kocht" 938.000 abonnenten? obwohl mir vorkommt, dass 8.310 eh recht viele sind...

Q2: Wenn Gerechtigkeit eine menschliche Tugend ist, ein sittlich Gutes, das verwirklicht werden soll, was ist dieses "sittlich Gute" dann im Zen? Ist das Zazen ein Teil des sittlich Guten? Und soll es deshalb immer wieder und möglichst lange (im Sesshin) verwirklicht werden?

Q3: Was mich seit ein paar Tagen umtreibt, ist die Frage, wie Du es vom Standpunkte des Zen aus mit dem Thema Weisheit hälst? Ist es ratsam nach Weisheit zu streben? Ist es sinnlos oder ist es gar gefährlich? Und was bedeutet Weisheit eigentlich überhaupt? Worin liegt sie aus Sicht eines Buddhisten und kollidiert das Streben oder Erhalten von Weisheit (auch in Form von schlichter Lebensweisheit) nicht mit dem Konzept des Loslassens von allem? Oder ist Weisheit am Ende sogar nur etwas, dass wir gar nicht selbst erreichen können, weil es uns nur von anderen zugeteilt werden kann? - Am Ende nur Fragen und unter allem die Frage, nach der Erkennbarkeit der Welt, ohne die Weisheit wohl kaum zu erringen wäre. Und was hat das alles mit Lernen zu tun?

Q4: Worin liegt für dich der Unterschied zwischen Arbeit und Spiel im Zen?

Q5: Seit ungefähr 6 Monaten arbeite ich als Monteur in einem metallverarbeitenden Unternehmen, dass sich auf den Sondermaschinenbau für die Kakaoindustrie spezialisiert hat. Meine Kollegen und ich bilden quasi unfreiwillig eine eigene Sangha, die sich so anfühlen kann wie der Druckkochtopf den du in deinen Videos erwähnst. Hier kann man bis zum Kern weichgekocht werden, wenn man es nur zulässt. Einmal im Monat werden unsere Maschinen lackiert. Und das in der selben Halle, in der sie gebaut werden. Ohne Absaugung. Was bedeutet, die gesamte Luft ist mit Lösungsmitteldämpfen durchzogen. Da mir meine Gesundheit wichtig ist, ziehe ich im Normalfall meine Gasmaske auf. Was vielleicht für die meisten normal klingt, bildet aber die Ausnahme. Zusätzlich bekomme ich regelmäßig blöde Sprüche zu hören: „Sei mal nicht so ein Weichei und nimm die Maske runter“. Innerlich stempel ich solche Menschen natürlich sofort zum Vollidioten ab, die nicht wissen, wie schädlich solche Stoffe für den menschlichen Körper sind. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich realisierte, dass ich wirklich der absolut Einzige in der gesamten Werkstatt bin, den das wohl interessiert. Nach dem Motto: "Ich alleine bin klug und ihr anderen seid alle dumm wie Brot." Ich erinner mich noch an eines deiner Videos, in dem du eine Geschichte vom Buddha erzählst, der seine Schüler ein Woche aus den Augen lässt und sich nach seiner Rückkehr manche davon umgebracht haben. Aufgrund der Erfahrung in meiner Firma, frage ich mich seitdem oft selber was nun der richtige Weg in dieser speziellen Situation ist. Loslassen und glattgeschliffen werden oder doch lieber auf seine eigene Gesundheit achten und die ein oder andere Kante behalten? Gibt es Grenzen des Loslassens?

Meine Bücher: https://muhode.hatenablog.com/entry/1111/01/01/000000

Zitat aus "Zazen oder der Weg zum Glück" (Rowohlt-Verlag):

Inzwischen weiß ich, dass ich damals das Leben so betrachtete wie einer, der darüber klagt, dass ein Theaterstück todlangweilig ist – ohne zu erkennen, dass er selbst der Hauptdarsteller auf der Bühne und zugleich der Regisseur hinter den Kulissen sein muss. Das Leben hat nur so viel Sinn, wie ich ihm gebe, denn es kann nur so gut oder schlecht sein, wie ich es lebe. Die Frage ist also nicht, ob, sondern wie ich leben soll. Eines der Bücher, das ich in Japan gelesen habe, stammt von Viktor Frankl. Darin ist die japanische Übersetzung von drei Vorträgen enthalten, die der jüdische Neurologe nach seiner Befreiung aus einem Konzentrationslager im Jahr 1945 gehalten hat.

Frankl, auch wegen seiner Logotherapie berühmt, ging es sowohl im eigenen Leben als auch bei der Behandlung seiner Patienten um Sinnfindung. Bereits mit 16 Jahren hielt er einen Vortrag mit dem Titel „Über den Sinn des Lebens“. In den drei Vorträgen, die 1946 unter dem Titel „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ (Wien) publiziert wurden, beschreibt er eine „kopernikanische Wende“, wie auch ich sie erlebt habe. Gewöhnlich fragen wir nach dem Sinn des Lebens und wenn wir keinen finden, behaupten wir enttäuscht, das Leben sei nicht lebenswert. In Wirklichkeit sei es aber, so Frankl, das Leben selbst, das die Frage stellt. Das Leben stellt uns damit in Frage und wir sind diejenigen, die eine Antwort geben müssen.

Mit der Logotherapie bietet Frankl drei verschiedene Wege an, einen Sinn im Leben auszumachen: kreativ sein, Erfahrungen sammeln und – Leiden. Ein Künstler etwa findet durch sein Schaffen Sinn im Leben, aber nicht jedem Menschen steht dieser Weg offen. Selbst Kunstgenuss ist ein Weg dorthin, genauso wie wir Sinn auf einer Reise oder in einer Liebesbeziehung finden können. Das können jedoch auch nicht alle. Wenn ein Mensch im Krankenbett nichts mehr zu tun hat, als auf seinen Tod zu warten, mag er sich zu recht fragen, ob sein Leben noch einen Sinn hat. Erst wenn er sein Leiden selbst bejaht, kann die Antwort Ja sein.

Das Leben fragt uns nicht in Worten, sondern in Form von Tatsachen, vor die wir gestellt werden, und wir antworten ihm auch nicht in Worten, sondern in Form von Taten, die wir setzen. (Viktor Frankl, 1905–1997)

Kurios, dass es die drei Vorträge von Frankl in jedem größeren japanischen Buchladen gibt, während sie in Deutschland nicht mehr erhältlich sind, denn unter dem Titel „… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ sind 1977 in München nicht diese Vorträge, sondern Frankls wohl bekanntestes Werk neu erschienen. Es wurde in den USA und auch in Japan zum Bestseller, doch in Deutschland erfuhr es eine stiefmütterliche Behandlung. In diesem Buch, das Frankl in nur neun Tagen diktiert haben soll, beschreibt er seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern von Theresienstadt, Auschwitz und Türkheim.

Was beim Lesen irritiert: Er hat vollkommen darauf verzichtet, den Holocaust zu bewerten. Vergeblich suchen wir nach einer Anklage. Frankl findet selbst im Konzentrationslager noch Sinn im Leben. Wahrscheinlich war es genau diese Erfahrung, die ihn dazu führte, das Leiden als einen Weg hin zum Lebenssinn zu begreifen. Ich erkannte mich in Frankls Büchern wieder, obwohl meine eigenen Erfahrungen nichts gegen die seinen waren. So unmenschlich die Behandlung in manchen Zenklöstern auch sein mag, alle Mönche sind im Kloster, weil sie diesen Weg gewählt haben, und können jederzeit gehen. Frankl hat das Leiden gewählt und angenommen, obwohl es für ihn keine Alternativen gab. Er bejahte sein Leben trotzdem und nur dadurch bekommt es Sinn. Das Leiden selbst ist die Antwort: „Ich lebe!“

Q6: Hallo Muho, zu diesem Themenkomplex (Sōtō-Zen-Linien) hätte ich auch noch eine Frage. Und zwar speziell zu den Äbten von Antai-ji, und noch spezieller zu deinem Lehrer. Seit Sawaki sind das (die Äbte), wenn ich das richtig sehe: Uchiyama, Watanabe, Miyaura, Muhō, Nakamura. Von und über Sawaki und Uchiyama gibt es so einiges an Literatur. Von dir auch mittlerweile. Von Watanabe und Miyaura eher weniger, so wie es scheint. Daher meine Frage: Kannst du mal ein wenig über deinen Lehrer, Miyaura, erzählen? Was für “ein Typ“ war das, was für ein Mensch / Lehrer (im Vergleich zu beispielsweise Sawaki oder Uchiyama)?

Q7: Hattest du schonmal psychische Probleme (Depression, Ängste,etc.), falls ja, wie haben sich diese auf den Zazen ausgewirkt ?

Q8: Lieber Muho, erst vor ein paar Tagen habe ich Deine „Zen-Häppchen“ entdeckt. Deshalb weiß ich nicht, ob Du schon einmal über „Hindernisse und Widerstände gegen Zazen“ gesprochen hast. Kannst Du in Deinem neuen Zuhause täglich meditieren? Wie ist es für Dich, dass Du nicht mehr so viel Zazen praktizierst wie in Antaji? Was empfiehlst Du als geschickten Umgang mit inneren Widerständen?

"My Teacher's House" https://youtube.com/playlist?list=PLHc3lR360zoxOPyyF8BwlpK1HcP5yP2s0

Q9: Wie kann man Satanismus verstehen ist das die Religion des „Ich"s oder ist dies ebenfalls ein Hilfsmittel um das Göttlichewesen zu verstehen? Und wie könnte man buddhistisch das Akzeptieren?

Q10: Akzeptieren dessen was ist, hin zur Freude am "Miiiiiiiii", erkennen des Ungeheuers, das im Diesseits liegt. Hier gründet denn wohl auch die Akzeptanz der Einzelnen für die ausgeprägte, teilweise rituelle Kasteiung im ZEN allgemein oder spezifisch, bei den Battans. – Fordernde Tagesstrukturen, Umgang mit den Mahlzeiten versus zu grosse Mengen und "Alles muss gegessen werden", Verwehren der Körperhygiene, teilweise Willkür im Umgang mit dem Kyosaku, gezielt erniedrigende Aussagen, willkürliches physisches geschlagen werden, nur zögerliche Hilfeleistung bei körperlichen Herausforderungen… Es gibt bei mir eine Seite, die sich verachtenden gegen Kasteiung sträubt und wehrt. Aber das ist auch diese Andere, welche den tiefen Sinn dahinter zu erkennen meint. - Verrätst du uns, wie du mit solchem am eigenen Leib Erfahrenen heute den Umgang pflegst, dies dich formte, prägte und führt?

Mehr zum Thema "teilweise rituelle Kasteiung im ZEN" auf meinem YouTube-Kanal:

(045) Gewaltausübung: Ja oder Nein oder was ist das überhaupt? https://youtu.be/Nx3UIMF6n7A

(065) Warum die Gewalt? https://youtu.be/HxCVH7_PeW0

(090) Missbrauch als strukturelles Problem im Kloster? https://youtu.be/VgQ9wkEYSOE

Q11: Lieber Muho, ich verfolge noch nicht lange deine Beiträge. Daher wundere ich mich manchmal, ob es nicht „wichtigere“ oder weniger polarisierende Themen als das Maske tragen gibt... Oder über den Tee. Du hast ja u. a. auch Philosophie studiert, kennst also auch die Fragen, die das menschliche Leben im tiefsten Innern berühren und das menschliche Dasein betreffen. Z.B. hattest du in einem deiner Beiträge (Interview) von den Schmerzen beim Sitzen erzählt und die Antwort deines früheren Meisters mit Bezug auf den Friedhof. (Psychologisch gesehen sehr geschickt) Seitdem ich das gehört habe, treibt mich doch eine Frage um: Das Sitzen ist frei gewählt; es ist dir so wichtig, dass du vieles auf dich nimmst, um diesen Weg zu verfolgen. Daher wirst du auch die Schmerzen „überstehen“ bzw. lernen, damit umzugehen. So wie auch jemand, der für einen Marathon oder einen Gebirgsaufstieg alles auf sich nimmt, um sein Ziel zu verfolgen. Was aber ist, wenn jemand im Gefängnis sitzt, gefoltert wird, (Nordkorea, China, nur um ein Beispiel zu erwähnen). Wie geht dieser Mensch mit Schmerzen um. Diese werden ihm willkürlich von anderen zugefügt, sie dienen nur dazu, einem Menschen Leid zuzufügen. Es gibt kein „Erfolgserlebnis“ am Ende, keine Medaille im Ziel für den Gefolterten. Es gibt nur Schmerzen, Ungewissheit, was das Ganze ein Ende hat; und vor allen Dingen: Es ist sinnlos. Soweit ich das verfolgt habe, haben manche Menschen in Konzentrationslagern nur überlebt, weil sie an eine gerechtere Welt, einen Gott, etwas außerhalb ihres gegenwärtigen Lebens geglaubt haben. Eine Hoffnung hatten. Ich behaupte, diese Menschen haben gebetet, damit sie „Erlösung“ finden. Hatten sie die „Kraft“ und „Energie“ sich auf sich selbst zu fokussieren? Wie kann man aus buddhistischer Sicht dieses Leid, diese Schmerzen, das erlittene Unrecht ertragen. Durch friedvolle und dankbare Annahme? Durch Sitzen? Überspitzt gesagt würde ich behaupten „Zazen ist Luxus“ und die damit verbunden Schmerzen auch. D. h. nicht, dass ich Zazen (in meinem Alltag, ohne große finanziellen Nöte, genügend Essen und einem Dach überm Kopf) als nicht hilfreich empfinde, doch wenn es um das elementare „Überleben“ geht, um so etwas wie ein Überlebenskampf: Ich glaube, da schaltet der Körper mit seinen Hormonen auf Widerstand, Weglaufen, Abschalten, Verleugnung und hat gar keine Ressourcen, um in sich zu gehen. Vielleicht liege ich da falsch – hoffentlich – mit meiner Behauptung: Zazen ist Luxus!