Ist Alter ein Faktor? Und warum tut das Alleinsein so weh?

Frage 1): "Dein Video berührt eine – vielleicht müßige – Frage, die mich oft beschäftigt hat: Welchen Einfluss hat das Lebensalter auf die Möglichkeit des Erwachens? In der Jugend ist der Verstand naturgemäß flexibler, offener und weniger geprägt von Vorurteilen und vermeintlichen Errungenschaften – der berühmte Anfängergeist. Im Alter hingegen nimmt naturgemäß die Identifikation mit dem Körper, mit Eitelkeiten, schwindenden Lebenszielen und Errungenschaften ab. Es gab Leute wie Ramana, die in früher Jugend ohne jegliche Ausbildung spontan erwachten – andere suchen ein Leben lang. Ist Alter – auch wenn's letztlich Illusion ist – deiner Meinung nach ein Faktor?"

Frage 2): "Was hältst du davon, wenn in Gruppen nach dem stillen Sitzen noch ein Gedankenaustausch stattfindet? Habe jetzt beides erlebt, viele Jahre lang Sitzen nur in einer Sangha, wo es das nicht gab. Und seit einem dreiviertel Jahr auch in einer Gruppe in der Nähe (und oft auch online), in der nach zwei Runde noch eine halbe Stunde über die Übung gesprochen wird. Mir persönlich ist es lieber, nur zu sitzen. Und zum Ratschen in die Kneipe zu wechseln."

Frage 3): "Danke wieder für deine ehrlichen Worte Muho. Das alleine sein warum tut das weh. Gibt es da eine denk Lösung oder einfach aushalten."

Dogen im Gakudoyojinshu zur ersten Frage: "Auch wer alt ist, ist nicht ausgeschlossen, genauso wenig wie die, die noch jung sind. Jôshû war über sechzig, als er mit der Übung begann, dennoch nimmt er einen Heldenplatz unter den Patriarchen ein. Fräulein Zheng hatte mit zwölf Jahren bereits ein langes Studium hinter sich, sie ragte über die Mönchsgemeinschaft heraus."

Mein Kommentar aus "Futter für Pferd und Esel" zu dieser Textstelle: "Jôshû war ein Schüler von Nansen, von dem das bekannte Kôan mit der Katze überliefert ist: Eines Tages stritten sich die Mönche der östlichen und der westlichen Halle um eine Katze. Da griff Nansen das Tier und drohte, es zu töten, wenn ihm die Mönche nicht die Essenz der Buddhalehre mit einem Satz erklären könnten. Als die Gemeinschaft schwieg, brachte Nansen die Katze um. Später kam Jôshû von einem Bettelgang zurück ins Kloster und als ihn Nansen fragte, wie er denn geantwortet hätte, legte dieser seine Strohsandalen auf den Kopf und ging fort. Nansen meinte: „Du hättest die Katze retten können.“ In dem Werk Shôbôgenzô Zuimonki, einer Sammlung kürzer Reden, stellt Dôgen eine originelle Lösung dieses Kôans vor. An der Stelle der Schüler hätte er zu Nansen gesagt: „Meister, wir haben nichts zu sagen. Bitte töten Sie die Katze für uns!“ Bestimmt war Nansen nicht der Typ, der seinen Schüler so eine „Bitte“ erfüllt hätte. Hätte man ihm gesagt, er solle die Katze töten, dann wäre es Nansden leicht gefallen, sie laufen zu lassen. Dôgen schlägt noch eine zweite Antwort für die Schüler vor: „Wir wissen bereits, wie man eine Katze mit einem Schwerthieb in zwei teilt. Können Sie uns zeigen, wie man sie mit einem Schwerthieb in eins teilt?“ Wenn die Schüler aber geschwiegen hätten, hätte Dôgen an Nansens Stelle die Katze freigelassen: „Euer Schweigen ist die Antwort!“ Dôgen irrt, wenn er meint, dass Jôshû erst mit sechzig Jahren Mönch wurde. Die Legende berichtet, dass Jôshû bereits in jungen Jahren ein Schüler Nansens wurde und vierzig Jahre bei ihm praktizierte. Mit sechzig brach er zu einer zwanzigjährigen Wanderschaft auf, die letzten vierzig Jahre seines Lebens wirkte er als Abt eines Klosters. Möglicherweise bezieht sich Dôgen hier also auf Jôshûs Wanderschaft, nicht auf den Beginn der Mönchsübung. Mit dem Fräulein Zheng ist eine junge Frau gemeint, die im Alter von zwölf Jahren das Kloster von Isan Reiyû besuchte und später von dessen Nachfolger die Lehre übertragen bekam. Auch hier ist die Botschaft klar: Die Praxis des Weges ist unabhängig von Alter und Geschlecht. Doch was hilft es zu wissen, dass jeder diesen Weg gehen kann, wenn Sie ihn nicht gehen? Was hilft es zu wissen, dass Ihnen dieser Weg heute so weit offensteht wie den Bodhisattvas aus alten Zeiten, wenn Sie nicht heute einen Schritt, und dann einen weiteren Schritt machen, ohne auf morgen zu warten?"